Claudia Koestler, Münchner Merkur.
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Egling - Sturmgeformte Berg-Föhren, knorrige Lärchen in Herbstfärbung oder eine 150 Jahre alte Fichte, in die offenbar der Blitz eingeschlagen hat: Spektakuläre Anblicke in der freien Natur. Noch faszinierender sind sie allerdings, wenn man ihnen in einem Wohnzimmer begegnet, als Blickfang einer lebendigen Kunstform: Bonsai. So heißt die ursprünglich im Fernen Osten beheimatete Kunst, Natur in verkleinerter Form darzustellen, mit einer den Menschen symbolisierende Schale und einem Baum, der durch Schnitte und kunstvolle Eingriffe zur formvollendeten Kleinwüchsigkeit erzogen wird. Einige der kunstvollsten Bonsai-Bäume überhaupt, die weltweit immer wieder bei Ausstellungen für Aufsehen sorgen, kommen dabei aus Attenham bei Egling: Geformt von Walter Pall, einem der international renommiertesten Bonsai-Spezialisten. Seit über 30 Jahren gilt Palls Begeisterung der "Kunst der kleinen Bäume". Allerdings nicht in einer asiatischen, sondern in einer höchst eigenen, alpinen, dramatischen und ursprünglichen Ausprägung, auf die Pall besonderen Wert legt: "Japanische Bonsai sind für mich die Wurzeln der Kunstform, ich bewege mich aber absichtlich davon weg", sagt der Attenhamer. "Ich mache etwas Einzigartiges", erklärt Pall und fügt mit einem Lachen an, dass das "zwar arrogant klingen mag, aber nun mal wichtig ist in der Kunst". Statt asiatischem Touch spiegelten seine Bäume eine gewisse Ungezähmtheit wider, die Rauheit der alpinen Natur. Sein, wie er sagt "tiefstes Bestreben" sei dabei, einen "echten Baum" zu haben: "Eine bayerische Fichte schaut bei mir immer noch aus wie eine bayerische Fichte". Mit seinen Eingriffen versuche er allerdings, "den Bäumen einen Seele zu geben, damit sie außergewöhnliche Persönlichkeiten werden", sagt der gebürtige Tiroler. Auf seinem Grundstück bei Egling hat er inzwischen rund 1000 Bonsai- Bäume gezogen, und den Laien erstaunt, dass es dabei gar nicht darum geht, sie so klein wie möglich zu schneiden: "Es ist wie bei Gemälden, für die beste Raumwirkung brauchen Bonsai-Bäume eine Größe von 50 bis 70 cm", weiß Pall. Das zweite Missverständnis: Je älter ein Baum, desto besser. "Nein", widerspricht Pall energisch, "es ist nur wichtig, wie er aussieht". Und seine Bäume haben vielfach jenen Ausdruck, der Juroren wie Laien gleichermaßen in ihren Bann ziehen. Doch Bekanntheit und Preisverleihungen, all das sind für Pall "Abfallprodukte". Er mache es, "weil ich es ganz einfach machen muss", sagt er im Brustton der Überzeugung, zumal Bonsai in Europa "leider eine höchst brotlose Kunst" sei. Und ein bisschen klingt in seiner ganzen, kompromisslosen Leidenschaft für Bonsai ein Satz mit, dem ihn einst sein Vater, ein österreichischer Schauspieler, mit auf den Weg gegeben hat: "Schauspiele nicht, sondern sei!" Es war 1978, als sich Palls Leben änderte. Auf der Münchner Bonsai-Show sah der ehemalige Geschäftsführer in der Elektronik-Industrie die ersten Miniaturbäume und erlag sofort ihrer Ausstrahlung. "Ab da war ich verloren", erinnert er sich. Zum einen, "weil mich Pflanzen immer schon interessierten, zum anderen, weil das Kunst war". Doch Tipps und Informationen waren rar, für den Neueinsteiger hieß es, "learning by doing", als selber Erfahrungen sammeln. Prompt gingen ihm die ersten Bäume ein. Doch Pall ließ nicht ab. "Genau das hat mich ja auch gelockt. Mich interessieren nur schwierige Sachen, weil die eine Herausforderung sind", sagt der Attenhamer. Im Laufe der Jahre entwickelte sich Pall vom leidenschaftlichen Hobbyisten zu einem gefragten Bonsai-Experten. 1990 setzte er beruflich zur Ruhe, und widmete sich fortan noch intensiver den Bäumen. Weltweite Ausstellungen und Preise folgten, inzwischen gilt Pall international als Koryphäe und führt Seminare, Workshops, Vorträge, Kurse und Online-Beratungen durch. Das Wort vom Profi hört er allerdings nicht gerne: "Unter Blinden ist der Einäugige eben König", seufzt er, denn auf dem Gebiet des Bonsai könne man nie auslernen. Lieber will er jemand sein, "der neue Marken setzt und alles immer wieder auch in Frage stellt". Auch in Zukunft wolle er "immer noch ein Lernender sein und das Gefühl haben wie jetzt, dass der Weg gerade erst begonnen hat". Denn der Umgang mit Bonsai erfordere enorme Geduld, auch weil der Prozess vom normalen Baum bis zum Bonsai Jahrzehnte dauere. Allein, um den Baum in einer Schale gesund zu halten, brauche es jahrelanges Wissen und Erfahrung. Die eigentliche Kunst Palls beginnt allerdings erst dann, wenn es darum geht, dem Baum eine bestimmte Form zu geben – durch regelmäßiges Zurückschneiden, manchmal auch durch eine entsprechende Drahtung. Dabei habe er durchaus auch immer wieder mit Vorurteilen zu kämpfen. "Es gibt nicht wenige Menschen, die meinen, man verstümmle den Baum", weiß Pall. Doch dem widerspricht er energisch: "Man legt manchem Baum zwar Eisen an, aber so, dass es ihm nicht wehtut, ihn nicht quält". Er vergleicht das mit dem, "was für Kinder die Zahnspange ist". Und auch das Beschneiden dürfe dem Baum nicht schaden, "denn wenn es ihm nicht gut geht, sieht man es ihm ja an". Seine Eingriffe seien somit weit weniger grausam als wenn tausende Menschen "unwissentlich ihre Topfpflanzen umbringen, ihre Hecken rasieren oder mit rotierenden Messern das Gras absäbeln". Für ihn hingegen sei es "das Wichtigste, gut zu den Lebewesen zu sein, erst dann kommt die Schönheit". Und diese Schönheit ist bei Pall zwar unbestritten Kunst von Weltformat, darf aber eben auf keinen Fall gekünstelt sein: "Für mich ist ein Bonsai-Baum nur dann schön, wenn es mich bei seinem Anblick schier von den Socken haut durch seine Pracht, Schönheit, Wucht und Echtheit".
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