Achtung: Ähnlichkeiten mit lebenden und toten Personen sind nicht babsichtigt und reiner Zufall
Künstler, Sammler, Profis, Spinner
Was für Menschen beschäftigen sich überhaupt mit Bonsai? Im allgemeinen kann man sagen, dass es einmal ganz normale Menschen sind, die einfach ein Hobby haben wollen, die sich an etwas schönem, lebenden erfreuen, so wie sie sich auch an einem Haustier erfreuen können. Recht häufig trifft man Menschen, die sehr sparsam sind. Dies mag bei einem Hobby, das als teuer verschreien ist, erstaunen. Jedoch ist für sehr viel Menschen Bonsai ein „billiges“ Hobby. Ja, die gleichen Leute, die sehr viel Geld für Autos, Reisen, Fotografieren usw. ausgeben, kaufen sich nur die billigsten Bäume und arbeiten mit Werkzeug aus dem Baumarkt. Diejenigen, die sich wirklich ernsthaft mit Bonsai beschäftigen, sind schon weitaus interessanter.
Da gibt es die Künstler. So wie man sich allgemein Künstler vorstellt sind das irgendwie ungewöhnliche, extreme Menschen. Das sind die Leute, die Bonsai natürlich als Kunst verstehen und die eben Kunstwerke schaffen oder das stark annehmen. Sie nehmen sich samt und sonders sehr ernst und sehen sich in der Regel als die einzigen, die wirklich etwas von Bonsai verstehen. Auch unter den Künstlern gibt es mehrere Schulrichtungen. So gibt es die Puristen, die nur mit japanischen Bäumen arbeiten, ja es gibt welche, die nur mit einer einzigen Art arbeiten. Es gibt aber auch die Puristen, die nur mit den für sie einheimischen Arten arbeiten. Dann gibt es die, die Laubbäume oder Nadelbäume bevorzugen. Auch in der Art, wie sie sich ihr Material beschaffen, unterscheiden sie sich: die einen arbeiten gerne mit Stecklingen oder Sämlingen, die anderen kaufen importiertes Material, andere wiederum holen sich ihre Bäume aus Baumschulen. Eine ganz besondere Rasse sind die Ausgraber, die nur mit selbstgesammelten Findlingen arbeiten und sich selbst als die wahren Könige der Bonsaikünstler sehen. Viele Künstler können wirklich etwas und wenn es nur ist, sich einen Namen zu machen. Einige sind berühmt, weil sie etwas können, einige sind nur dafür berühmt, dass sie berühmt sind. Wie jeder anständige Künstler, sind auch die Bonsaikünstler arme Leute. Jeder reiche Mensch will ein Künstler sein und jeder Künstler ein reicher Mensch. Sie werden oft irrtümlich für reich gehalten, weil in ihrem Garten ein Vermögen steht. Das ist es auch wirklich; ihr ganzes Geld wird in neues Material und Schalen gesteckt und es kommt nur ganz langsam oder gar nicht zurück. Je weiter die Bonsaikunst im Westen verfeinert wird, um so mehr wird auch das Wirken der Künstler gewürdigt. Ein Baum ist mehr wert, wenn er von einem bekannten Gestalter kommt. Dies ist natürlich genau so in Asien. Künstler machen sich bekannt, indem sie extrem sind. Sie können extrem gut sein, oder einfach nur extrem. Jedenfalls spricht man über einen ganz ungewöhnlich gestalteten Baum, mehr als über einen durchschnittlichen. In den bildenden Künsten findet man täglich Künstler, die mehr durch ihre Aktionen als durch ihre Arbeiten auffallen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das auch in Bonsaikreisen üblich sein wird. Wenn eine Aktion, also das Entstehen eines Kunstwerkes bereits Kunst ist, dann ist es eine Bonsaidemonstration schon lange. Es gibt heute bereits Bonsaigestalter, die stolz darauf sind, dass die Bonsairegeln nicht für sie gelten. Was ein echter Avant-Garde-Künstler ist, der ist stolz darauf, dass das breite Publikum abfällig über seine Arbeiten spricht. Das breite Publikum hat ja im Zweifelsfall einen altmodischen Geschmack und ist spießig. Wenn es die eigenen Arbeiten ablehnt, kann das nur heißen, dass sie kontemporär, also wegweisend und absolut nicht spießig sind. Einem Künstler Eitelkeit vorzuwerfen ist so, wie einem Kaufmann Habgier und einem Politiker Machtgier. Es ist müßig, weil das ja die eigentliche Triebfeder für sein Handeln ist. Ebenso ist es müßig, einem Künstler ein übergroßes Ego vorzuwerfen. Das ist ja eine ganz wesentliche Voraussetzung dafür überhaupt Künstler zu sein. Interessanter ist es schon, darüber zu reden, wie ein Kühnster sein übergroßes Ego herumträgt; ob er es schamlos offen zeigt, oder unter hervorragend gespielter Bescheidenheit verbirgt. Die Trennlinie zwischen übergroßem Ego und Charisma ist fließend. In einigen Ländern werden anerkannte Bonsaikünstler „Meister“ genannt. Dieser Titel gebührt jemandem, der den Höhepunkt seiner Kunst errungen hat. Jeder kann sich Meister nennen, wichtig ist nur, ob die anderen das auch so sehen. In den USA darf sich ein Bonsaigestalter nicht einmal selbst Künstler nennen. Bescheidenheit scheint aber nicht unbedingt eine Voraussetzung für einem großen Bonsaikünstler zu sein, sie mag jedoch zu seiner Beliebtheit beitragen. Wenn man viele Künstler kennt, kann man auch zum Schluss kommen, dass Intelligenz keine absolut erforderliche Voraussetzung ist. Viele leben mit Kunst in ihrem Leben, aber nicht alle meistern die Kunst des Lebens.
Ein Bonsaimeister wird meist als solcher anerkannt, wenn er aus ganz schlechtem Material einen wundervollen Bonsai gestalten kann. Das leuchtet jedem ein, der einmal eine Demonstration gesehen hat, in der dies vollbracht wurde. Für den Gestalter, der als Meister angesehen werden will geht es dann darum, solches Material zu finden, das in den Augen der Zuseher ganz schlecht aussieht, währen er mindestens eine Möglichkeit sieht, einen guten Bonsai daraus zu gestalten. Dann ist es eben gutes Material – gutes Demo-Material. Im Gegensatz dazu steht solches Material, bei dem jeder Amateur erkennen kann, dass es gut ist. Dann ist es anscheinend keine Kunst mehr, etwas tolles daraus zu machen. Im Gegensatz zu einer landläufigen Meinung ist ein Bonsaimeister eben nicht in der Lage, aus schlechtem Material einen guten Bonsai zu gestalten. Er unterscheidet sich nur von seinen Zusehern in der Fähigkeit, gutes Material als solches zu erkennen. Es gibt einige Gestalter, die es grundsätzlich darauf abgesehen haben, auf der Bühne Wunder zu wirken und die gar kein (offensichtlich) gutes Material haben wollen. Man muss sich schon fragen, worauf es denn nun ankommt, auf den Eindruck auf der Bühne oder auf das Endprodukt. Wenn das Endprodukt wirklich überzeugend ist, dann fragt später keiner mehr, wie das Rohmaterial einmal ausgesehen hat. Es gibt also zwei Arten von gutem Material:
· Gutes Material für eine Demonstration
· Gutes Material für die eigene Verwendung
Manchmal fällt beides zusammen. Normalerweise nicht. Der Besitzer von wirklich hervorragendem Material muss sich auch fragen, ob es richtig ist, es auf der Bühne zu verwenden. Dort ist es eben nicht das Ziel, langfristig das beste aus dem Material zu machen und die Überlebenschancen des Baumes und aller seiner Teile möglichst hoch zu halten. Auf der Bühne wird das nur vorgetäuscht. Es kommt drauf an, kurzfristig einen möglichst guten Eindruck zu machen.
Es gibt Künstler, die ausgezeichnete Bäume gestalten und solche, die sich auf der Bühne ausgezeichnet machen. Manchmal fällt beides zusammen. In der Tat, ist es nicht selbstverständlich, dass einer gut arbeiten kann, wenn ihm dutzende Voyeure dabei zusehen. Einige scheinen besonders aufzublühen, wenn sie wissen, dass sie von Spannern beobachtet werden. Das haben sie dann mit guten Schauspielern gemeinsam. In der bildenden Kunst ist es immer mehr üblich, die Erstellung des Kunstwerkes selbst als Kunst zu begreifen. Man kann also durchaus sagen, dass eine gelungene Demonstration ein Kunstwerk ist, was auch den gestalteten Baum einschließt, aber nicht unbedingt.
Nahe mit den Künstlern verwandt sind die Profis. Sie sind bekannt und treten als Demonstratoren auf. Sie leiten Workshops, schreiben Artikel, fotografieren und sonnen sich in ihrer Berühmtheit. Einige von ihnen sind auch gute Künstler und Handwerker, einige verdienen Geld, viele sind arm. Einer der gute Bonsai gestaltet, kann noch lange nicht ein guter Lehrer sein. Es gibt mittelmäßige Künstler, die gute Lehrer sind.
Dann gibt es die Handwerker. Sie sehen sich als Spezialgärtner, die eben mit kleinen Bäumen arbeiten. Sie ziehen mit viel Liebe Sämlinge und Stecklinge groß. Sie haben meist viel mehr Bäume als sie jemals bearbeiten können. Sie arbeiten jahrzehntelang an Bäumen, die sie für Bonsai halten, während die Künstler sie für Rohmaterial ansehen.
Dazwischen sitzen die Händler. Sie sehen Bonsai als eine Möglichkeit Geld zu verdienen. Manchmal verstehen sie auch etwas von der Materie. Jedenfalls begnügen sie sich in der Regel damit zu kaufen und zu verkaufen, ohne an der „Ware“ etwas zu verändern.
Eine besondere Spezies sind die Sammler. Sie sind meist spezialisiert: Entweder ganz kleine oder recht große Bäume, Laub- oder Nadelbäume, nur Ahorne, nur einheimische Arten, nur japanische Arten usw.. Oft verstehen sie recht viel von dem was sie machen. Sie können meist die Bäume gut pflegen, aber selten auch gestalten. Im Westen ist ein Bonsai nur in Ausnahmefällen ein Prestigeobjekt. In Asien kann man mit einem gewaltigen Meisterwerk seine Terrasse schmücken und seine Verbundenheit mit der Tradition bewiesen. Dafür gibt man auch bereitwillig sehr viel Geld aus. In einer Kultur, die mit Understatement arbeiten und prahlerischen Konsum ablehnt, ist es besonders subtil, seinen Reichtum durch einen erlesenen Bonsai zu dokumentieren. Noch dazu, wenn es einen organisierten Markt gibt, auf dem der Bonsai später wieder zu Geld gemacht werden kann. Ja, zu Zeiten des Japanischen Wirtschaftsbooms in den achtziger Jahren konnte man davon ausgehen, dass sich der Wert eines Baumes bei guter Pflege wie eine Aktie entwickeln würde. Das hat natürlich auch viele Spekulanten dazu gebracht, in Bonsai zu investieren.
Es gibt auch Bonsaikenner: Sie werden weithin unterschätzt, weil sie weder gestalten, noch ausstellen, noch eine große Sammlung besitzen. Sie beschäftigen sich bloß sehr intensiv mit der Materie. Genau so wie jemand Kunstgeschichte studiert und kein Bild malen kann und auch keine Sammlung hat, aber trotzdem ein Fachmann ist. Manche dieser Leute schreiben auch Bücher und Artikel, die erstaunlich gut sind.
In den letzten Jahren hat sich auch der Typ des Internet-Bonsaianers herausgebildet. Es gibt viele, für die es das Allererste am Morgen ist, in ‚das’ Forum zu sehen. Viele sehen in viele Foren, möglichst auch in mehreren Sprachen. Da unterschieden sich dann wieder die Schreiber und die Bloß-Leser. Es gibt sogar welche, die scheinbar nur schreiben, aber nicht lesen. Einige schreiben so ungeheuer viel, dass man sich fragt, wann sie Zeit für Bonsai haben. Einige schreiben eher weniger, aber dafür immer ganz fundiert. Einige wollen wohl den Preis für den unangenehmsten Schreiber für sich beanspruchen. Da gibt es wieder die, die sich wenigstens mit vollem Namen zu ihrem Geifern bekennen. Aber es gibt auch solche, die durch einen Tarnnamen jeden Anstand verlieren. Jedenfalls sind einige international durch das Internet berühmt geworden, die es sonst in der Zeit nie geschafft hätten.
Dann wiederum gibt es die Bonsaipolitiker. Sie sind mindestens Arbeitskreisleiter, streben aber nach Höherem. Das kann dann bis zum nationalen Clubvorstand oder noch weiter gehen. Sie sammeln Titel für ihr Briefpapier und ihre Visitenkarten. Ohne sie könnten die großen Kongresse nicht existieren. Die ganz schlauen unter den Politikern arbeiten hinter den Kulissen als „graue Eminenzen“. Einige von ihnen sind wirklich nützlich, weil sie die Organisationen am laufen halten. Manchmal meint man, dass es gar nicht um kleine Bäume geht, sondern vielmehr um kleine Leute. Bonsaipolitiker sind wie Politiker allgemein beim breiten Bonsaivolk gar nicht hoch angesehen. Man vermutet, manchmal zu unrecht, dass sie geheime Vorteile aus ihrem Werken schöpfen oder sich einfach nur wichtig machen wollen.
Da gibt es auch noch die Gemütsmenschen, die Bonsai als ein Mittel sehen, Leute kennen zu lernen, zu reisen und sich allgemein angenehm die Zeit zu vertreiben. Viele haben gar keine Bäume, weil die immer eingehen, wenn sie weg sind. In Vereinen sind sie oft in der Überzahl, was das allgemeine Niveau senkt, aber die Stimmung hebt. Sie belegen immer wieder teure Workshops, obwohl sie keinen Funken Talent haben und nie einen vernünftigen Bonsai selbst gestalten werden. Das ist ihnen aber nicht bewusst und auch egal, weil ihnen jeder Ehrgeiz fehlt. Im besten Fall sind sie gut zu gebrauchen, wenn es um freiwillige Arbeit im Verein geht.
Wer sich lange in der Bonsaiszene bewegt hat, der wird sehr viele Spinner getroffen haben. Es scheint, dass das Hobby Bonsai eine ganz besondere Art von ungewöhnlichen Menschen anzieht, die fanatisch, sehr von sich eingenommen, unduldsam, extrem introvertiert, äußerst empfindlich, manchmal auch unendlich redselig sind. Einige wandeln hart an der Grenze zwischen Genie und Wahnsinn entlang (die bekanntlich bei Kufstein liegt). Wenn man die Vertreter der Bonsaiszene hernimmt und die Ausschläge in irgendein Extrem mit der Normalbevölkerung vergleicht, so wird man feststellen, dass es sich wohl um eine besonderen Kreis von Spinnern handelt, bei denen die Ausschläge nach beiden Sitten, positiv und negativ weitaus stärker sind.
Einige wenige vereinen mehrere der genannten Kategorien in sich. Man trifft auch solche, die nicht nur ungewöhnlich, sondern außergewöhnlich sind. Man trifft recht viele Menschen, die man nie vergisst. Man trifft auch Menschen, die man sonst nie getroffen hätte, weil Bonsai über alle Klassenschranken hinweg vereint. Die Besessenheit mit den kleinen Bäumen vereint Arme und Reiche, Intellektuelle und Spießer, Feine Leute und Proleten.
All dieses bunte Gemisch stellt die Bonsaiszene dar. Man kann es schön finden, man kann sich darüber furchtbar aufregen, aber wer einmal dazugehört, der kommt nicht mehr los. Es ist wie eine weitverzweigte Familie - man liebt sie, man hasst sie, verachtet sie, man richtet sich gegenseitig aus, man freut sich wenn man sie auf einer Bonsaiveranstaltung alle wiedersieht. Irgendwie.