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Sunday, October 18, 2009

Die naturalistische Waldkiefer - German

This is the article 'The naturalistic Scots Pine' as it was published in German in Bonsai art in 2006. It is slightly more elaborate than the original English version. The text for the images is NOT identical to the version as of October 2009.


Wie gedruckt in Bonsai Art 2006.
Der Text ist nicht identisch mit der englischen Version von Oktober 2009.

Die Bilder sind zu sehen da: http://walter-pall.de/pinesscots_pine_nr__3.jpg.dir/index.html

Die naturalistische Waldkiefer

Von Walter Pall www.walter-pall.de

Bilder:



1)1995: Die Kiefer (Pinus sylvestris) wurde im Frühjahr 1988 in Brandenburg ausgegraben. Sie wurde danach für fünf Jahre ins Feld gepflanzt, wurde dann von mir erworben und kam 1993 in diese Trainingsschale. Das Substrat war grob, sehr wasser- und luftdurchlässig. Durch kräftiges Wässern und aggressives Düngen wurde der Baum dann so kräftig, wie hier gezeigt. Wenn ein Baum dann so weit ist, muss man darauf achten, dass man es nicht übertreibt, weil er sonst zu rasch wächst und seinen wilden Charakter verliert. Noch ist nicht der Zeitpunkt zur Erstgestaltung gekommen. Die Zweige haben zwar kräftiges Grün, aber meistens and den Enden. Weil der Baum so gesund ist, können die langen Äste jetzt stark eingekürzt werden, damit die inneren Nadelbüschel gut wachsen können und Neuaustrieb im alten Holz erfolgt.

2)1996: Ein Jahr später überzeugt das Ergebnis bereits. Die Äste sind viel kürzer und das Laub ist näher am Stamm. Es ist generell eines der größten Probleme von gesammelten Kiefern, dass das Grün viel zu weit vom Stamm entfernt ist. Es dauert viele Jahre, bis das behoben ist. Viele Gestalter hätten den Baum jetzt bereits gestaltet, was aber ein Fehler gewesen wäre. Ein Baum mit viel Draht wächst deutlich langsamer. Zuerst muss das Material richtig entwickelt werden, dann erst kann man aggressiv gestalten. Die Zeit, die in der Materialentwicklungsphase ‚verloren’ wird, holt man locker später wieder ein. Die meisten gesammelten Bäume werden viel zu früh gestaltet. Weil das Grün immer noch reichlich weit vom Stamm entfernt ist, würde bei einer sofortigen Gestaltung die Krone deutlich zu breit ausfallen müssen.

3)1997: Nach einem weiteren Jahr mit starken Zuwachs ist jetzt der Zeitpunkt für die erste ernsthafte Gestaltung gekommne. Die Nadeln sind inzwischen deutlich kürzer weil es wesentlich mehr Nadelbüschel gibt. Die langen alten Nadeln wurde im Winter weggezupft. Das Wachstum ist innerhalb der Krone gut ausgeglichen und die Struktur des Baumes ist jetzt gut sichtbar. Zu diesem Zeitpunkt sieht der Baum durchaus bereits wie eine große Kiefer in der Natur aus. Einige würden ihn jetzt zum Bonsai im naturalistischen Stil erklären, ihn in eine vernünftige Schale setzen und fortan nicht mehr drahten oder drastisch weiter gestalten. Das könnte aber im besten Fall naive Kunst sein, oder doch eher lausige Bonsaikunst. Es wäre sicherlich kein naturalistischer Bonsai, sondern ein Naturbonsai, was absolut nicht dasselbe ist. Ich nenne so etwas in diesem Zustand gutes Rohmaterial. Einige Äste müssen verschwinden. Wie so oft bei gesammelten Kiefern entspringt mehr als ein Ast auf derselben Höhe. Das bedeutet künstlerisch meistens Unklarheit und zu viele gegenständige Äste, die beseitigt werden sollten. Es wäre zweifellos natürlich, das so zu belassen, aber es wäre keine gute künstlerische Entscheidung. Es wird naturalistisch genannt weil es NICHT natürlich ist, sonst könnte man es gleich natürlicher Bonsaistil nennen.

4)1997: Jetzt wurden die Äste ausgewählt, die die Struktur bilden werden. Die anderen wurden knapp am Stamm abgeschnitten. Im obersten Bereich der Krone wurden einige längere Jins gebildet. Es wäre keine gute Idee, sehr viele Jins dran zu lassen, so wie man das heute häufiger sieht. Das gilt ganz besonders für den unteren Kronenbereich. Die unteren Äste wären in der Natur ja schon vor recht langer Zeit abgestorben und es wäre kein totes Holz mehr sichtbar, während im oberen Bereich der Krone durchaus etwas Totholz Sinn macht. Die verbliebenen Äste im unteren Bereich scheinen genügend Grün aufzuweisen. Tatsächlich aber ist das nicht der Fall, man könnte das aber über einen längeren Zeitraum bei entsprechender Pflege immer noch erreichen. Der Trick besteht darin, den schwächeren unteren Teil der Krone gegenüber dem oberen zu stärken.

5)1997: Das Ergebnis nach einem Tag Arbeit ist in Ordnung, wirkt aber nicht überragend. Wir sind durch Demonstrationen auf der Bühne und auch in Magazinen gewohnt, dass ein Baum gleich nach der Erstgestaltung sichtbar ein Meisterwerk wird. Das ist jedoch NICHT das, was man zu Hause, and den eigenen Bäumen anstreben sollte. Es ist völlig in Ordnung, wenn der Baum nach der Erstgestaltung oberflächlich für die meisten nicht besonders gut aussieht. Es ist tatsächlich egal, wie er jetzt wirkt, das einzige was wirklich zählt, ist, dass das Potential des Materials voll ausgeschöpft wurde. Das wird man jedoch erst einige Jahre später wirklich erkennen. Es wäre ein Fehler, den Baum bald nach der Erstgestaltung umzutopfen. Es muss wenigstens eine Vegetationsperiode zwischen Erstgestaltung und Umtopfen verstreichen. An dieser Stelle sollte man auch beachten, dass jeder einzelne Ast, jedes noch so kleine Ästchen gedrahtet und in Form gebracht wurde. Das ist schon bemerkenswert für einen Bonsai, der später einmal naturalistisch genannt werden wird. Der Stil sagt überhaupt nichts über die Methode. Die Methode besteht hier in ernsthaftem komplettem Drahten. Als Effekt nach einigen Jahren wird angestrebt, dass der Bonsai wie ein natürlicher Baum wirkt, den kein Mensch jemals berührt hat. Momentan ist die Krone noch etwas zu breit. Das kommt von der Länge des ersten Astes, der in Wirklichkeit aus zwei Ästen besteht, die zusammen gestaltet wurden. In der modernen Bonsaigestaltung ist es üblich, an einer Kiefer alle Äste herunter zu ziehen. Hier, mit dem bereits recht tief liegenden und langen ersten Ast wäre das nicht gut, weil der Hauptast dann fast den Boden berührte. Man hätte ihn deshalb zu diesem Zeitpunkt bereits abschneiden können, so wie das einige Jahre später gemacht wurde.

6)2000: Im späten Frühjahr 1999 wurde die Kiefer in diese Schale gepflanzt. Sie ist ein wenig zu groß, aber für die Entwicklungsphase ist das eher ein Vorteil. Der Baum wurde kräftig gewässert und gedüngt und wirkt jetzt kerngesund. De Nadeln sind jetzt sehr lang, was aber in einer späten Entwicklungsphase durchaus noch nicht stört. Es ist jetzt wichtig, dass die unteren Äste gut wachsen können, während der obere Bereich der Krone stark zurück gehalten wird. Die Kiefer sieht jetzt bereits durchaus passabel aus. Der Stil ist eher traditionell und die meisten Besucher fanden den Bonsai gut. Die unteren Äste müssen jedoch noch deutlich zulegen, damit sie in der Proportion zum Rest des Baumes passen. Das größte gestalterische Problem ist die Breite der Krone. Das kommt davon, dass der Hauptast sehr lang ist, weil er nur an den Enden Nadeln aufweist.

7)2002: (dieses Bild ist auch auf CD vorhanden) Jetzt ist der Baum deutlich aus der Form gewachsen. Es sieht so aus, als sei er vernachlässigt worden. Tatsächlich wurde er jedoch weiter gekräftigt um ihn auf eine neuerliche Gestaltung vorzubereiten. Viele Knospen sind im alten Holz näher zum Stamm entstanden, auch bei den tiefer liegenden Ästen. Deshalb kann jetzt kräftig zurückgeschnitten werden. Dadurch wird die Gestalt schmaler und eleganter. Vorher war der Baum für eine Waldkiefer zu breit. Es ist meist besser, eine Waldkiefer elegant zu gestalten und nicht wuchtig, wie es in der modernen Gestaltung so häufig vorkommt. Die Waldkiefer hat mehr Talent zur Eleganz als zum Sumo-Ringer. Der niedrigste Hauptast nach rechts ist sehr lang und weist erst an den Enden brauchbare Nadelbüschel auf. Das sieht auf dem Bild gar nicht so schlecht aus, aber es ist ein Gestaltungstrick. Hier muss eine Entscheidung getroffen werden; wir sind an einem Scheideweg, was die Zukunft des Bonsai betrifft. Der Baum könnte durchaus wieder so traditionell gestaltet werden, wie er schon war, bloß deutlich verfeinert. Er könnte jetzt auch im naturalistischen Stil weiter gestaltet werden. Wie sähe das denn aus?

8) Man muss sich richtige Bäume ansehen und nicht Bonsai, wenn man ein Vorbild für den naturalistischen Stil sucht. Aber irgend ein natürlicher Baum ist nicht gut genug, es sollte schon ein bemerkenswerter sein. Hier haben wir das Foto einer wilden Waldkiefer, das Michael Tigges in Finnland gemacht hat. Die meisten Betrachter werden wohl zustimmen, dass es sich hier um eine sehr beeindruckende Kiefer handelt. Kann man sie als Modell für die Bonsaigestaltung benutzen? Diese Frage habe ich zu dem Zeitpunkt in mehreren Internetforen der Welt gestellt. Die Antwort war eine einhelliges NEIN! Die Größen des Internets haben mir arg zugesetzt damals; die Grenze zur persönlichen Beleidigung wurde mehrmals überschritten. Warum das? Sieht die Kiefer hier denn nicht gut aus? Natürlich sieht sie gut aus, aber sie sieht überhaupt nicht wie eine Bonsai aus! Aha, wo ist also der Unterschied? Sie hat absolut keine dreieckige Krone sondern ist eher rund und sogar breiter im Wipfel als unten. Die Kiefer hat durchaus nicht überall horizontale Äste und ganz sicher weist sie nicht die Etagen auf mit dem Negativbereich, durch den ‚die Vögel fliegen können’. Wenn überhaupt, dann können die Vögel in die Krone hineinfliegen. Der Baum hat keinen deutlich dominierenden Hauptast auf ein Drittel der Höhe. Von unten nach oben befinden sich jede Menge Äste auf der Vorderseite. Die Nadelbüschel sind überhaupt nicht exakt geformt und wirken eher wild. Der Stamm hat eine gute Verjüngung, aber das Nebari ist nicht sichtbar. Nun, all das könnte ein Gestalter durchaus so verändern, dass die Kiefer wie ein Bonsai aussähe. Man kann versuchen, aus einer Wildsau ein Hausschwein zu machen; muss das aber wirklich sein? Ist das nun ein hässlicher Baum? Nein, es ist ein großartiger Baum, er wäre nur hässlich wenn er ein Bonsai wäre, so die einhellige Meinung der ‚Experten’. Wirklich? Hat nicht John Naka gesagt, dass man nicht danach trachten soll, dass der Baum wie ein Bonsai aussieht , sondern der Bonsai soll wie ein Baum aussehen? Nun, hier ist ein gut aussehender Baum und man könnte es doch wenigstens versuchen, dieses Aussehen irgendwie in einen Bonsai zu bringen. Eine Möglichkeiten besteht darin, sich die Merkmale des Nicht-Bonsai abzugucken und sie nachzuahmen. Auf jeden Fall wurde ich von der Internet-Bonsai-Elite für diese Gotteslästerungen gekreuzigt.

9) Die alten Nadeln wurden gezupft, die Äste beträchtlich gekürzt und viele kleinere Äste wurden völlig entfernt. Die Entscheidung wurde getroffen, den Hauptast zu entfernen, weil er auch langfristig nie gut passen würde. Ein Stumpen wurde an der Stelle belassen, den man jedoch sofort zu einem kurzen Jin hätte gestalten können. Hat nun eine anderer Ast die Funktion des Hauptastes übernommen? Nicht wirklich; das Konzept des Hauptastes kann man auch einmal vernachlässigen, solange ein Baum auch so eine deutliche Bewegung aufweist. Das Ergebnis ist bloß ein Zwischenschritt und es sollte nicht danach beurteilt werden, wie es jetzt aussieht, sondern nach dem Potential. Der obere linke Teil der Krone ist zu breit, oder man könnte auch sagen, dass der niedrigste Ast auf der linken Seite zu kurz ist. Der Stummel, der vom ehemaligen Hauptast übrig blieb, wirkt leicht deplaziert. Nun, jedenfalls habe ich mit diesem Bild die Internetgemeinde schockiert, indem ich die Kiefer zum naturalistischen Bonsai erklärt habe. Jeder hat erwartet, dass ich den Baum wiederum nach klassischem Muster gestalten würde, alles drahten und mit den Ästen saubere Etagen bilden würde durch die ‚die Vögle durchfliegen’ könnten. Aber nein, ich erklärte, dass der Bonsai nun fast fertig sei und es bloß einige Jahre dauern würde, bis das Gefühl für eine sehr natürliche Kiefer erreicht sein würde. Dafür wurde ich gesteinigt und gekreuzigt. Man beschuldigte mich, die Bonsaikunst zurück in die Steinzeit gebracht zu haben, einen MacBonsai erzeugt zu haben, sowie ohnehin ein einfältiger Ignorant zu sein. Wenn ich mir heute das Bild betrachte, kann ich es den Kritikern nicht einmal groß verübeln. Wie eine Mutter als einziger Mensch das zukünftige Genie in ihrem Sohn sieht, sah ich das, was dann drei Jahre später tatsächlich entstand; sie sahen jedoch bloß was da war, nämlich Rohmaterial mit Potential. Das ist ein generelles Problem: wir erwarten, dass ein Bonsai in jedem Stadium der Entwicklung so gut wie möglich aussieht. Aber das ist kein gutes Konzept für die praktische Entwicklungsarbeit. Nur das Endresultat zählt wirklich. Meist ist es besser, eine lange Zeit mit einem hässlichen Baum zu leben, einem hässlichen Entlein, das sich dann zum strahlenden Schwan entwickelt. Das kann jedoch sicher nicht als Entschuldigung für schlechte Gestaltung herhalten. Der Unterschied ist natürlich nicht immer für jeden deutlich.

10) 2005, Sommer: Im Frühjahr 2005 wurde der Bau in diese chinesische Schale gepflanzt. Sie ist flacher und hat ein geringeres optisches Gewicht als die vorherige. Der Baum wurde dabei etwas entgegen dem Uhrzeigersinn gedreht um eine bessere Stammbewegung zu zeigen. Jeder einzelne Ast wurde sorgfältig begutachtet und in vielen Fällen durch ganz feine Drähte zurechtgerückt. Das erfolgte jedoch so, dass der Betrachter das überhaupt nicht bemerken sollte. Es sollte so aussehen, als wäre der Baum ganz von selbst so gewachsen. Wir sind jetzt bereits in der Vorbereitung für den Ginkgo Award in Herbst 2005. Jetzt muss die Kiefer nur mehr den Neuzuwachs dieses Jahres bringen, dessen Nadeln so kurz wie möglich sein sollten. Danach können dann die alten Nadeln abgezupft werden und der Baum sollte gut aussehen. Deshalb ist es ab jetzt sehr wichtig, das Wässern stark zurück zu schrauben und die Düngung ganz einzustellen. Jetzt dürfen absolut keine langen Nadeln wachsen. Die Kiefer sieht jetzt schon bedeutend besser aus als noch vor drei Jahren. Der linke obere Teil der Krone wurde deutlich zum Stamm hin zurückgenommen. Der unterste Ast auf der linken Seite wurde gehoben und waagrecht gelegt, was der Krone eine starke optische Stabilität gibt. Der unterste rechte Ast geht nach hinten. Er wurde nach unten und nach rechts gezogen. Dadurch entstand eine deutliche Bewegung des Baumes nach rechts. Ist das jetzt der Hauptast? Ich weiß es nicht und es ist mir auch egal ob es einen Hauptast gibt.

11) 2005, Herbst: Nun ist der Baum zum ersten mal ausstellungsreif. Die alten Nadeln wurden gezupft und, wie erwartet, machen die kurzen neuen Nadeln den Baum kräftiger und älter. Die Eleganz des Stammes kann viel besser gewürdigt werden, weil die Belaubung an der Vorderseite noch einmal durchgearbeitet und ausgedünnt wurde um sie durchsichtiger zu machen. Dabei wurde jedoch großer Wert darauf gelegt, dass auf der Vorderseite noch genügend Grün verblieb, weil das ein Merkmal eines natürlichen Baumes ist. Ansonsten wurde überall noch ein wenig nachgearbeitet und nun wirkt es so, als sei es immer so gewesen. Wenigstens wird dieser Eindruck durch die Gestaltung angestrebt. Die chinesische Schale bildet einen angenehmen Kontrast zum Stamm und zur Krone. Das optische Gewicht der Schale ist klein genug um den Baum kräftig erscheinen zu lassen, aber nicht so klein, dass die Schale schwach wirkt. Der Baum wirkt kräftig und elegant zugleich. Man beachte, dass ich gerne Baum statt Bonsai sage. Dieser Baum ist nun fast fertig nach meinem derzeitigen Geschmack. Die Herausforderung besteht darin, in über viele Jahre in diesem Zustand zu halten und noch leicht zu verbessern. Er wurde auf dem Ginkgo Award im September 2005 ausgestellt: Waldkiefer, Pinus sylvestris, 85 cm hoch, gesammelt 1988 in Deutschland, ungefähr 100 Jahre alt, Schale aus China.




Text:


Seit einigen Jahren wird das Thema der ‚naturalistischen’ Bonsaigestaltung in der Bonsaiszene diskutiert. Besonders im Internet findet das Thema Beachtung. Wann immer es hoch kommt werden die Foren lebendig. Das Thema hat eine Tendenz dazu, zu polarisieren. Nun, es ist ja auch irgendwie die Antithesis zur modernen abstrakten Bonsaigestaltung. Aber das alleine ist ja noch kein Grund um so gewaltige Wellen zu schlagen. Ein Grund ist wohl, dass das Konzept einfach von vielen nicht verstanden wird.

Der naturalistische Bonsaistil wird von vielen rund um die Welt akzeptiert. Ich selber bin bekannt als ein Vertreter, aber ich habe das Konzept natürlich nicht erfunden. Ich habe einfach das deutlich gemacht, was viele genau so sehen, das nämlich zu viele Bonsai eher wie Bonsai und nicht wie natürliche Bäume aussehen. Ich habe festgestellt, dass der Trend in der Gestaltung zu mehr und mehr Verfeinerung hin geht, die aber all zu häufig die Natürlichkeit verschwinden lässt. Viele Bonsai sehen dann so aus als wären sie nicht echt, sondern eher aus Plastik, jedenfalls wirken sie nicht so, als seien sie von selbst so gewachsen. Die Hand des Menschen ist deutlich spürbar. Darüber hinaus sehen sich Bonsai zu häufig ähnlich, weil sie alle nach denselben Mustern gestaltet wurden. In der Natur gibt es aber eine endlose Zahl an verschiedenen Mustern.

Was ist denn nun das Konzept des naturalistischen Bonsaistils. Es kommt von einer Aussage, die John Naka an mehreren Stellen so ähnlich gemacht hat: ‚Versuche nicht, deinen Baum wie einen Bonsai aussehen zu lassen, sondern versuche deinen Bonsai wie einen Baum aussehen zu lassen’. Das ist alles – nicht mehr und nicht weniger. Wie weiß man wo der Unterschied zwischen einem Baum und einem Bonsai ist? Ist da überhaupt ein Unterschied? Nun dazu sollte man es aufgeben, Vorbilder bei Bonsai zu suchen und sich wirklichen Bäumen zuwenden. So einfach ist da. Muss man ein Genie sein um auf so was zu kommen? Man würde meinen, dass das jedermann sofort versteht. Weit gefehlt! Es gibt mehr Missverständnisse als man sich vorstellen kann. Das größte Hindernis ist die Art, wie Bonsai gelehrt wurde und wird. Es wird gelehrt wie man einen BONSAI gestaltet und nicht wie man einen BAUM gestaltet. Der naturalistische Stil ist die Antithesis dazu und muss deshalb falsch sein in den Augen des durchschnittlichen Bonsaischülers; und ganz sicher wenn ein Bonsaifundamentalist nach seiner Meinung gefragt wird. Der Gipfel der Aussagen war: ‚Bonsai hat mit wirklichen Bäumen nichts zu tun!’. Ist es zu glauben? Ja, so wie viele Bonsai gestaltet werden, kann man das sogar stehen lassen.

Was ist denn nun der Unterschied zwischen einem Baum und einem Standard-Bonsai? Wirkliche Bäume haben keine dreieckige Krone, solange sie keine jungen Fichte, Lärche oder ähnliches sind. Wirkliche Bäume haben nicht bloß waagrechte Äste wenn sie alt sind; die Äste biegen sich gewöhnlich mehr oder weniger stark nach unten bei Nadelbäumen. Bei Laubbäumen gehen die Äste zuerst hoch und dann erst nach unten. Wirkliche Bäume haben meistens keine ausgeprägten Negativbereiche zwischen allen Ästen durch die ‚die Vögel fliegen können’. Es gibt Negativbereiche, aber die sind eher so geartet, dass Vögel in die Krone hinein fliegen können. Wirkliche Bäume haben nicht immer einen Hauptast, und wenn schon, dann ist es nicht immer der niedrigste. Sie haben nach allen Seiten hin Äste. Wirkliche Bäume haben keine klar definierte Vorderseite. Wenn man dann eine Seite als Vorderseite ansehen will, dann befinden sich da auch Äste; meist von unten bis oben. An wirklichen Bäumen sind die Äste nie ganz sauber geordnet. Das sind die Hauptunterschiede, aber es gibt natürlich noch viel mehr davon.

Ein traditioneller Bonsai ist abstrakt, er ist ideal. Ein naturalistischer Bonsai ist realistisch, das ist das Gegenteil von abstrakt. Aber er ist nie total realistisch; es besteht immer ein gewisses Maß and Abstraktion. Das geht jedoch nie so weit wie bei vielen modernen Bonsai, die sehr sauber ‚gestaltet’, sehr verfeinert, geschleckt und oft unecht wirken. Sie sehen gewiss so aus als hätte sie ein Mensch und nicht die Natur gestaltet. Der naturalistische Stil ist die Abkehr von dieser Entwicklung, die nach meiner Meinung in sehr vielen Fällen zu weit gegangen ist.

Viel zu viele Leute meinen, sie hätten das jetzt verstanden und sie überlassen der Natur die Gestaltung des Baums in der Schale. Sie glauben, dass es beim naturalistischen Stil darum geht, dass man Bäume einfach wachsen lässt und sie höchstens hin und wieder ein wenig bearbeitet. Der Name ‚naturalistisch’ wurde gewählt, weil der Stil NICHT ‚natürlich’ ist. Der Trick besteht eben nicht darin, das Rohmaterial fast so zu belassen, wie es gefunden wurde und dann die weitere ‚Gestaltung’ der Natur zu überlassen. Das wäre dann bloß die Entwicklung von Rohmaterial. ‚Naturalistisch’ bezeichnet das Endergebnis; der fertige Baum in der Schale soll einem das Gefühl eines beeindruckenden natürlichen Baumes geben, der nie von Menschen berührt wurde. Es ist völlig egal, wie diese Ziel erreicht wird. In den allermeisten Fällen wird diese Ziel mit sehr künstlichen Mitteln erzielt und eben nicht durch die Natur!

Naturalistisch hat nichts mit der Methode zu tun, sondern nur mit dem Ergebnis. Wachsen lassen und dann Schneiden und Arbeiten ohne Draht sind uralte Methoden der Bonsaigestaltung. Viele meinen, dass genau das naturalistische Bonsaigestaltung ist. Ist es nicht, kann aber ev. sein. Eine Hecke wird durch wachsen lassen und schneiden und ohne Draht geformt. Man kann sie aber wirklich nicht naturalistisch nennen. Viele glauben, dass es darum geht, Draht zu vermeiden. Wenn man das Beispiel hier sieht, so ist bemerkenswert, dass zu einem Zeitpunkt jeder einzelne Ast, jedes Ästchen gedrahtet war. Selbst in den letzten Bildern gibt es noch jede Menge (unsichtbare) feine Drähte in der Krone. Der Trick besteht darin, dass man das dem Endergebnis nicht ansieht – es wirkt, als ob es von selbst so entstanden wäre. Tatsächlich wurde jeder einzelne Teil dieser Kiefer ‚gemacht’, von einem Menschen ‚geformt’. Aber man sollte es nicht bemerken! Es ist nicht einfach und sehr langwierig, das so hin zu bekommen.

Naturalistisch ist keine Ausrede für faule Leute, es geht dabei keinesfalls um schlampig aussehende Bäume, es ist keine Abkürzung. Ich meine, dass es mindestes so viel Arbeit macht oder eher mehr als die traditionelle Gestaltung. Es geht nicht darum, das Rad zurück zu drehen in die Zeit, als die Bonsai noch nicht so verfeinert wurden wie heute.

Die naturalistische Gestaltung stellt einfach ein weiteres Konzept der Gestaltung neben das traditionelle. Es ist völlig in Ordnung, wenn man diese Idee ablehnt oder die vorgestellte Kiefer nicht gut findet. Man kann natürlich der Meinung sein, dass das Ziel verfehlt wurde. Aber ist dann das Ziel bereits falsch? Es ist völlig in Ordnung, wenn man feststellt, dass man es zwar verstanden hat, aber doch lieber die wohlbekannten Pfade der herkömmlichen Gestaltung wählt. Es ist nur ein Vorschlag wie man auch an die Kunst der Bonsaigestaltung heran gehen kann. Ich will niemandem vorschreiben, welche Richtung er einschlagen soll, dass er von nun an nur mehr naturalistisch arbeiten soll. Es ist auch überhaupt nicht notwendig, den Arbeitsstil sofort und radikal zu ändern. Man kann ja auch seine Bonsai bloß ein wenig natürlicher gestalten. Man kann auch danach gehen, was einem das Material sagt. Im Gegensatz dazu was man jetzt erwarten könnte, arbeite ich selber nicht immer naturalistisch. Ich arbeite sehr oft eher traditionell oder modern abstrakt, weil mir ein Baum sagt, dass er so sein will. Wie auch immer, ich meine, dass die Bonsaikunst durch die Option der naturalistischen Gestaltung interessanter und abwechslungsreicher wurde. Jedenfalls ist es besser, als immer wieder Bäume zu gestalten, von denen einer wie der andere und zusätzlich unnatürlich aussieht.

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