Sammeln von Bäumen in der Natur
Von Walter Pall
1.Ethik des Sammelns
Wozu sollte man Bonsaimaterial in der freien Natur sammeln, was von vornherein etwas anrüchig und außerdem mühsam erscheint? Nun, es gibt einige Gründe dafür2:
Viele einheimische Arten, oft gerade die, die am besten geeignet sind, sind überhaupt nicht oder kaum in Baumschulen erhältlich.
In Baumschulen kultiviert man Bäume, damit sie möglichst schnell wachsen und Geld bringen. Das bedeutet, dass sie in den seltensten Fällen die für uns gewünschte Qualität aufweisen.
Sämlinge und Stecklinge brauchen Jahrzehnte um auch nur annähernd eine Qualität aufzuweisen, wie sie gesammelte Bäume haben. Selbst dann besteht immer noch ein gewaltiges Qualitätsgefälle.
Der Charakter eines Baumes entsteht nur mit dem Alter. Ein gesammelter Baum drückt den Kampf ums Überleben aus durch seine Gestalt, seine Borke. Dies ist mit Baumschulpflanzen kaum zu erreichen.
Gesammelte Bäume haben eine einmalige Geschichte, die ihnen auf den Leib geschrieben ist und die sie interessant und wertvoll macht.
Bonsaisammeln kann Spaß machen und wie eine Sportart gesehen werden.
Warum sollte man nicht sammeln?
Die Bäume werden in den meisten Fällen die Prozedur nicht überleben.
Auch wenn man eine Genehmigung hat, ist das dann eine Lizenz zum Töten, wenn man nicht genau weiß, was man macht.
Abgesehen davon, dass man in Natur- oder Landschaftsschutzgebieten ohnehin niemals ausgräbt, zerstört man immer ein Biotop, wenigstens teilweise.
Gesammelte Bäume brauchen oft Jahre, bis sie etabliert sind und mit der eigentlichen Gestaltung begonnen werden kann.
Viele Findlinge haben für die meisten Gestalter zuviel Charakter, d.h., diese wissen gar nicht, wie sie das Potential nutzen können.
Selbstverständlich ist es in ganz Mitteleuropa und auch sonst in allen zivilisierten Ländern verboten, einfach in die Landschaft zu gehen und Bäume auszugraben. Es gibt immer einen Besitzer, und wenn es der Staat ist. Deshalb ist es unumgänglich, sich eine Genehmigung zum Ausgraben zu beschaffen. Am besten ist es, wenn man schon ziemlich genau weiß, wo und was man ausgraben will. Eine Genehmigung ist in der Regel durchaus zu bekommen, sofern man nicht ausgerechnet in Landschaftsschutz- oder gar Naturschutzgebieten graben will. Wenn man dem Forstmann oder Landwirt erklärt, dass man am liebsten nur ganz kleine Bäume dritter Wahl nimmt und auf jeden Fall die Spuren danach verwischt und die Löcher wieder zumacht, dann kann man fast immer mit Wohlwollen rechnen. Häufig kann man von diesen Leuten auch gute Hinweise erhalten, wo man suchen sollte. Natürlich muss man sich auch damit abfinden, für einen Narren gehalten zu werden. Am besten lässt man sich die Genehmigung schriftlich geben um später Schwierigkeiten zu vermeiden. Sehr viele gute Gebiete gehören Landwirten. Diese haben meist ein praktisches Verhältnis zu den Bäumen, die ihnen oft genug sogar im Wege sind. Eine kleine Summe, mit dem Versprechen, die Löcher zu schließen, genügt meist. Manchmal trifft man auf Menschen, die meinen, mit Bonsai könnte man ein Vermögen verdienen. Es ist deshalb oft besser, als Grund für den Wunsch nach Genehmigung vorzugeben, die Bäume für einen Steingarten zu verwenden. In Europa kann es während der Jagdsaison, meistens im Herbst ab 1. September, für einen Bonsaisammler gefährlich werden. Aus den USA wurde bereits berichtet, dass illegale Bonsaisammler vom Besitzer mit Schusswaffen verjagt wurden.
Wer mit Bäumen wenig Erfahrung hat und nicht sicher weiß, ob und wie er einen ausgegrabenen Baum am Leben erhalten kann, der hat auch mit Genehmigung kein Recht zum Sammeln. Die Genehmigung ist dann höchstens eine Lizenz zum Totschlag. Voraussetzung, neben der Genehmigung, ist also umfassendes Wissen und mindestens gärtnerische Erfahrung. Wer einen Baum und dessen Bedürfnisse nicht genau kennt, der sollte besser die Finger davon lassen. Auch wenn der Fachausdruck „Bonsaimaterial“ heißt, darf der Bonsailiebhaber nie vergessen, dass es sich um ein Lebewesen handelt, das entsprechend behandelt werden sollte. Auch mit Genehmigung darf man keine Bäume ausgraben, die eine wichtige ökologische Aufgabe übernehmen. An manchen Stellen können Gehölze dauerhaft Lawinenabgängen vorbeugen. Auch mit Genehmigung benimmt man sich nicht wie die Axt im Walde. Grundsätzlich muss so schonend wie möglich gearbeitet werden. Alle Löcher sind sorgfältig zuzuschütten, alle Spuren müssen, so weit wie möglich verwischt wedeln. Man muss nicht unbedingt von Wanderern entdeckt werden, auch wenn man an sich nichts zu befürchten hat. Man weiß nie, auf welche Ideen Leute kommen, die es auch nicht mit Genehmigung tolerieren, dass die Natur beschädigt wird.
Sehr oft findet der erfahrene Bonsaisammler einen an sich guten Baum, der aber nach dem Ausgraben nur geringe Chancen hat, weiterzuleben. Oft ist es nämlich so, dass gerade die besten Rohlinge an Stellen stehen, wo sie fast verhungern und verdursten und daher sehr schwach sind. Außerdem sind die Wurzeln an exponierten Stellen meistens sehr verzweigt. Das bedeutet, dass beim Ausgraben kein fester Wurzelballen vorhanden ist und die meisten feinen Haarwurzeln abgerissen werden. Die Regel kann nur lauten: Im Zweifel den Baum stehen lassen. Dies gilt natürlich auch dann, wenn zwar der Baum sehr geeignet wäre, aber die Jahreszeit nicht. Die meisten Findlinge, die nebenbei im Urlaub gesammelt werden, haben keine Chance!
Wer einige brauchbare Bäume gefunden hat, sich aber nicht ganz sicher ist, ob sie überleben können, der wird nur einen mitnehmen, mit dem er Erfahrungen sammelt und die anderen später holen.
Wenn man sich Mühe macht, dann findet man Plätze, wo man tatsächlich Bäume retten kann. Möglich ist das z.B. dort, wo Straßen und Wege im Wald gebaut oder verbreitert werden, wo Schiliftanlagen gebaut werden, oder wo unter Liftanlagen oder Hochspannungsleitungen der Neuwuchs regelmäßig vernichtet wird, auf Viehweiden, wo der Landwirt regelmäßig die Gehölze abschneidet, die das Vieh noch nicht umgetreten hat, in der Umgebung von Schottergruben und Steinbrüchen, die erweitert werden sollen. An solchen Stellen kann man auch mehrere Bäume mitnehmen, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen.
Oberstes Ziel des Sammlers muss es sein, den Baum am Leben zu erhalten. Die Überlebenschancen hängen ab von:
Der Erfahrung des Bonsailiebhabers
Der Baumart
Dem Alter des Baumes
Den speziellen Standortbedingungen
Der Vorbereitung des Baumes
Den verwendeten Werkzeugen
Der Jahreszeit
den Niederschlägen im Sammelgebiet. Es sollte in den letzten Tagen dort geregnet haben.
Dem Unterschied im Klima von der Ausgrabestelle zum endgültigen Standort. Je größer der Wechsel, um so gefährlicher für den Baum.
Der Pflege nach dem Ausgraben.
2.Werkzeuge zum Sammeln
Der ernsthafte Sammler hat auch das richtige Werkzeug. Man braucht einen sehr stabilen, scharfen Spaten, eine Baumschere mit langen Stielen, eine Rosenschere, einen stabilen Pickel, eine Klappsäge. Manchmal benötigt man auch ein Sprühgerät, eine Bandsäge für schwierige Stellen, einen Flaschenzug, eine Motorsäge. Für Bäume, die auf großen Felsen oder in steilen Felswänden wachsen, benötigt man eine Bergsteigerausrüstung. Ein Seil, das mindestens 25 m lang ist, kann sehr wertvolle Dienste leisten. Man kann damit Bäume abseilen und sich selber bei Arbeiten in gefährlichem Gelände sichern. Auf jeden Fall braucht man reichlich Ballentuch und große Plastiksäcke. Eine sog. Bergsteigerkraxe, also eine Vorrichtung, die wie ein Rucksack getragen wird, auf den man einen großen Baum schnallen kann, ist bei langen Wegen oft unabdingbar. Es gibt Spezialvorrichtungen für Jäger, die so gebaut sind, dass damit eine einzelner Mann ein großes Stück Wild über unwegsames Gelände transportieren kann. Natürlich kann man so etwas auch gut für große Findlinge benutzen. Wasserflaschen sind sehr wichtig, für den Sammler und ev. auch für den Baum. Eine Fotoausrüstung kann auch wichtig sein. Ein geräumiger Rucksack bietet Platz für die meisten Geräte. Für Bäume ist er dann aber meist zu klein.
Bonsaisammler begeben sich oft in unwegsames Gelände, das sonst kaum von Menschen begangen wird. Ein kleiner Unfall, der normalerweise nicht viel bedeutet, kann da schon zu einer Tragödie werden. Man sollte immer Ausrüstung für Erste Hilfe bei sich haben. Ein Handy mit der gespeicherten Notrufnummer ist kein Luxus. Übrigens hilft eine deutsche Notrufnummern wenig, wenn man in den österreichischen Bergen in Not gerät. Wenn man mit einem Partner unterwegs ist, was immer zu empfehlen ist, dann sollte der ebenfalls ein Handy dabei haben.
Wenn man sich die Liste der Werkzeuge ansieht, kann man gut verstehen, dass manche zuerst einen Weg für ihr Fahrzeug und dann erst einen geeigneten Baum suchen.
3.Finden3
Im deutschen Sprachraum hat sich das griffige Wort „Findling“ für einen in der Natur gesammelten Baum eingebürgert, seit der Autor 1988 in einer Anmeldung zu einer Bonsaiausstellung dieses Wort zum erstenmal gebraucht hat. Ein Findling ist also etwas, was man gefunden hat. Wer in die Natur geht und „fertige“ Bäume sucht, der wird Schwierigkeiten haben. Es gibt, bis auf ganz wenige Ausnahmen in der Natur, keine Bäume, die man bloß in eine Schale setzen muss und die dann bereits den Anspruch erheben können, ein Bonsai zu sein. Man findet höchstens gutes Rohmaterial, nämlich mehr oder weniger interessant geformte Gestrüppe, aus denen der erfahrene Bonsaigestalter etwas machen kann. Gerade die besonders verwirrenden, komplizierten Rohlinge sind meistens die besten. Deshalb kann nur ein langjähriger Gestalter wirklich gutes Material finden, weil er ja bereits vor Ort die Grundform sehen muss um zu entscheiden, ob der Rohling brauchbar ist.
Die Kunst ist es, zu finden und nicht zu suchen. D.h., es hat wenig Aussicht auf Erfolg, in die Natur zu gehen mit dem festen Vorsatz, einen Kiefernrohling zu finden, der sich ideal für die Streng Aufrechte Form eignet und dann an allen wirklich brauchbaren Laubbäumen vorübergehen und selbst Kiefern zu übersehen, die sich für andere Stilarten hervorragend eignen.
Es gibt Menschen, die kann man mit einer Gruppe in den Wald schicken um Pilze zu sammeln und sie finden regelmäßig mehr als der Rest der Gruppe zusammen. Es gibt Fischer, die fangen immer mehr als ihre Kollegen zusammen. Es gibt Bonsaifreunde, die finden wesentlich mehr gute Bäume als ganze Arbeitskreise zusammen. Was haben diese Menschen gemeinsam? Sie kennen ein Geheimnis oder gar mehrere, das die anderen nicht kennen. Die Chancen, dass man von so einem in die Lehre genommen wird, stehen schlecht.
Wie kann man also selbst so ein Geheimnis entdecken? Nun wird jeder glauben, dass das Geheimnis in der Kenntnis einer guten Fundstelle liegt. Das stimmt nicht, das Geheimnis besteht in der Mustererkennung. Das funktioniert so: Der Bonsaifreund wandert durch die Landschaft und stolpert irgendwann über einen Baum, der alle Voraussetzungen für einen guten Bonsai erfüllt. Dann hat er erst einmal einen guten Platz gefunden, denn Bonsairohlinge kommen, wie Pilze in Gruppen vor - wo einer steht, da steht ein zweiter um die Ecke.
Man muss wissen, dass es gar nicht darum geht, einen besonders guten Platz zu wissen, sondern darum, einen solchen immer wieder zu finden, auch in Gegenden, wo man noch nie war. Wenn er woanders weitersucht und wieder durch Zufall auf einen guten Rohling stößt, dann beginnt der Erfolgreiche zu kombinieren: Was haben die beiden Fundorte gemeinsam, was bewirkt an beiden Plätzen, dass die Bäume so schön klein bleiben. Wenn es z.B. so ist, dass an beiden Stellen durch die Nähe einer Wildfütterung im Winter die Hirsche den kleinen Buchen die Triebe abnagen, dann hat er ein Muster. Mit diesem Muster wird er dann überall, wo es Wildfütterungen gibt, eine große Chance auf Erfolg haben.
Der sehr Erfolgreiche kommt dann später zur Erkenntnis, dass es eine ganze Reihe von solchen Mustern gibt, die zielführend sind. Er eignet sich immer mehr Wissen über die Bäume an, hält Zwiesprache mit ihnen, versteht sie immer besser und findet immer mehr und geeignetere. Dieser Ratschlag stammt von Wolfgang Käflein der wohl der Mann ist, der die meisten Findlinge in Europa gesammelt hat.
Wo kann man generell suchen? Erstens dort, wo man auch eine Genehmigung zum Sammeln hat, oder wenigstens Aussicht auf eine besteht. Es macht keine Sinn, in Naturschutzgebieten die besten Rohlinge ausfindig zu machen, wenn man ohnehin keinen ausgraben darf.
Wo bestehen die besten Chancen? Generell in Gebieten, die man als Extremstandorte bezeichnen kann. Das sind Standorte, die für eine bestimmte Art an der Grenze zum gerade noch zumutbaren Lebensraum liegen. Wenn ein Baum an seinem Standort dahinvegetiert, weil er zwar zuwenig zum Leben, aber zuviel zum Sterben hat, dann bleibt er klein, wird sehr gedrungen wachsen und entwickelt sehr interessante Kümmerformen. Was ein Extremstandort ist, hängt sehr von der Pflanzenart ab. Eine Kiefer gedeiht in fast reinem Sandboden noch kräftig, während der gleiche Boden für eine Rotbuche bereits eine grobe Zumutung bedeutet. Dementsprechend kann ein Rotbuche, die sich in reinen Sandboden verirrt hat, als Ausgangsmaterial sehr gut sein, während für eine Kiefer noch andere Kriterien dazukommen müssen, wie z.B. besonders exponierte Lage, am steilen Hang oder in Felstaschen. Gute Aussichten für Erfolg bieten generell alle höheren Lagen. Allerdings sind die meisten derartigen Gebiete in Europa unter Natur- oder Landschaftsschutz. Gute Chancen bieten Geröllhalden, Steinbrüche, Bahndämme, Moore, steile Böschungen, öfter überflutete Uferregionen von Wildbächen, Felshänge, große überwachsene Steine, Küstenregionen, alles was der Landwirt als „Unland“ bezeichnet. Allerdings haben alle in solchen Gebieten gesammelten Bäume den großen Nachteil, dass sie sehr schwach sind. Dementsprechend sind die Überlebensraten von vornherein sehr gering.
Wesentlich günstiger für das weitere Fortkommen des gesammelten Baumes sind Standorte, die an sich für die jeweilige Art gut sind, wo jedoch durch Umwelteinwirkungen die Bäume einmalig oder über viele Jahre fortwährend in ihrer Entwicklung gestört werden. Dies können sein: Straßenränder, an denen in regelmäßigen Abständen der Bewuchs zurückgeschnitten wird; Viehweiden, wo die Tiere die Neutriebe abfressen und immer wieder Äste oder gar Stämme der kleinen Bäume abbrechen und der Bauer den Neubewuchs immer wieder zurückhackt; Waldränder, wo das Wild die neuen Triebe im Frühjahr und im Winter die Knospen abfrißt; Lawinenhänge, wo immer wieder arge Schäden entstehen, ohne dass die Bäume endgültig absterben, Truppenübungsplätze, wo dauernd kleine Bäume abgeknickt, aber nicht umgebracht werden. Alle diese Standorte bis auf die Lawinenhänge, haben mehrere Vorteile: Es ist meist möglich, eine Erlaubnis zum Ausgraben zu erhalten; es ist ethisch vertretbar, einen Baum auszugraben, der ansonsten nur gequält wird und geringe Überlebenschancen hat; die Bäume wachsen in gutem Boden und sind relativ jung, also haben sie gutes, kompaktes Wurzelwerk, was zum Überleben nach dem Ausgraben sehr hilfreich ist.
Der Laie meint meistens, dass die meisten guten Bäume in möglichst abgelegenen, unberührten Gegenden zu finden sind. Das ist total falsch. Der Mensch mit seinen Maschinen und mit seinen Tieren ist der beste Erzeuger von Bonsairohmaterial. Die besten Bäume stehen meistens direkt am Wegesrand oder gar innerhalb von Siedlungen. So können hervorragende Findlinge dort stehen, wo jahrzehntelang eine Hecke gepflegt wurde, wo jemand in seinem Vorgarten Jahr für Jahr die Gehölze stark zurückgeschnitten hat, wo seit Jahrzehnten das Vieh durch die Gehölze dringt und sie auch noch anknabbert, wo jemand seit Jahrzehnten in einem Kübel kleine Bäume hält, wo auf einem Friedhof seit Jahren ein Strauch kleingehalten wird. Natürlich wird man nicht immer eine Genehmigung bekommen, den Baum mitzunehmen, aber Fragen kostet ja nichts.
Es ist eine gute Zeit Bäume zu suchen, wenn man sie wegen der Jahreszeit gar nicht ausgraben kann. Dann kommt man nämlich gar nicht erst in Versuchung und nimmt auch nicht gleich den ersten besten. Nachdem man nur eine kurze Zeit im Herbst und einige Wochen im Frühjahr mit Aussicht auf Erfolg einen Baum ausgraben sollte, hat man somit sehr viel Zeit dazwischen zur Auswahl.
4.Festlegen
Ein gefundener potentieller Bonsai ist noch gar nichts wert, solange nicht gesichert ist, dass er das Ausgraben überleben wird. Um das festzustellen, muss unbedingt das Wurzelwerk geprüft werden. Außerdem muss man wissen, was für einen Baum man vor sich hat und wie er reagieren wird. Das Wurzelwerk sollte möglichst kompakt sein, so dass man beim Ausgraben einen festen Wurzelballen mitnehmen kann. Meist ist das leider nicht der Fall Außerdem sollte es bereits vor dem Ausgraben deutlich brauchbar für später Gestaltung sein. Die dicken Oberflächenwurzeln und der unterste Teil des Stammes sind kritisch. Wenn sie jetzt noch nicht gut sind, werden sie es wahrscheinlich nie sein. Alles andere kann man meistens irgendwie hinbiegen. Stimmt die Stammdicke mit der gestaltbaren Höhe überein? Wenn der Stamm von vornherein viel zu dünn ist, dann sollte man eher auf ein Ausgraben verzichten. Vielleicht kann man dann die Krone zurückschneiden und nach einigen Jahren wieder kommen. Hat der Stamm auch eine brauchbare Bewegung und Verjüngung? Hat der Baum lebende tiefliegende Äste, aus denen man eine Krone gestalten kann? An Extremstandorten stehen neben den lebenden immer viele tote Bäume. Wenn man im Frühjahr oder Herbst auf die Suche geht, kann es durchaus vorkommen, dass man nicht sofort erkennt, ob ein Baum bereits tot ist. Wenn man die Knospen betrachtet, sollte es meist klar sein, ansonsten sollte man im Zweifel einen Zweig mit dem Fingernagel ankratzen.
Bäume die in Felstaschen oder auf flachen Steinen stehen, haben in der Regel einen sehr kompakten Wurzelballen gebildet und sind auch durch mangelnde Nährstoffe und Wasser oft interessant und gedrungen geformt. Hier kann man sehr häufig davon ausgehen, dass der Baum mit dem kompakten Wurzelballen sofort gesammelt werden kann. Wenn man sehr viel Glück hat und der Baum sich einfach hochheben lässt, dann kann man sogar außerhalb der normalen Jahreszeiten das Sammeln wagen. Ein anderer Standort, der kompakte Wurzelballen hervorbringt sind Feuchtflächen. Feuchtgebiete sind nicht unbedingt über das ganze Jahr und überall feucht. Es bilden sich Inseln im Moor, die eine sehr dünne Schicht aufweisen, die über mehre Wochen im Sommer recht trocken sein kann. Hier siedeln sich in Mitteleuropa und auch in Skandinavien und Sibirien Waldkiefern (P. sylvestris), Moorkiefern (P. mugo montana) und Birken (Betula pubescens) an. Diese Bäume können nur kurze Zeit in den Wochen wachsen, in denen der Untergrund luftdurchlässig und eher trocken ist. Dadurch sind sie häufig sehr gedrungen und weisen vor allem regelmäßig eine charaktervolle Rinde auf. Dies Bäume haben einen kompakten Wurzelballen. Sie können ohne großen Wurzelverlust mit einem scharfen Spaten herausgestochen werden und haben große Überlebenschancen. Ganz anders aber ist es mit Bäumen, die im Sand oder Schotter wachsen. Sie sind zwar oft die besten, aber sehr schwierig auszugraben. Oft ziehen die Wurzeln eines kleinen Baumes meterlang in den schlechten Boden und lassen sich nicht so herausnehmen, dass die meisten Haarwurzeln unbeschädigt bleiben. In solchen Fällen hat es keinen Sinn, den Baum auf Verdacht mitzunehmen. Viel klüger ist es, grundsätzlich zu entscheiden, ob eine Verbesserung des Wurzelballens vor Ort, sowie eine Verdichtung der Verzweigung Sinn macht.
Der Wurzelballen kann dadurch verbessert werden, dass man um den Baum einen tiefen Graben zieht. Am besten geschieht dies mit einem sehr scharfen Spaten, denn saubere, glatte Schnittstellen begünstigen den Neuaustrieb von Fadenwurzeln. Bei sehr steinigem Boden kann der Graben auch mit einem schweren Pickel ausgehackt werden. Wichtig ist es, den intakt bleibenden Wurzelballen noch so groß zu halten, dass der Baum problemlos weiterleben kann, aber doch durch den Rückschnitt der Wurzeln dazu angeregt wird, viele neue Fadenwurzeln zu bilden und vor allem aus dem alten Wurzelholz neue Wurzelspitzen zu treiben, ähnlich wie bei einem Rückschnitt der Äste ein Baum dazu angeregt wird, aus den im alten Holz schlafenden Knospen zu treiben. Weil ja bei dieser Maßnahme der Wurzelballen erheblich reduziert wird, ist es angebracht, auch die Krone stark zurückzunehmen. Allerdings ist dabei gute Kenntnis der Reaktionen des Baumes notwendig.. Laubbäume reagieren ganz anders als Nadelbäume. Ein Laubbaum wird in der Regel aus altem Holz zurücktreiben, wenn die Äste stark zurückgenommen werden. Das gleiche gilt für die Wurzeln. Ein Nadelbaum hat es im allgemeinen wesentlich schwerer. Er kann nicht so leicht aus altem Holz zurücktreiben, insbesondere dann nicht, wenn wenig oder sogar überhaupt keine Nadelbüschel zur weiteren Ernährung des Baumes übriggelassen wurden. D.h., ein Nadelbaum kann nach einem starken Rückschnitt, der für einen Laubbaum durchaus angebracht wäre, ja ihn sogar gesund erhält, sterben. Es ist daher nicht günstig, einen Nadelbaum stark zurückzuschneiden, wenn viel an seiner Wurzel gearbeitet wurde. Erst wenn der Baum wieder kräftig ist, kann langsam soweit zurückgeschnitten werden, wie man es für die Bonsaigestaltung eigentlich gleich tun wollte. Es macht keinen Sinn, die Krone und die Wurzeln eines Nadelbaumes „ausbalancieren“ zu wollen, wie es oft vorgeschlagen wird. Der Baum kann das viel besser selber. Auch japanische Sammler haben die gleichen Erfahrungen4. Sie lassen erst einmal die Äste und Nadeln eines ausgegrabenen Wacholders unangetastet. Erst ein Jahr später werden die langen Äste geschnitten.
Nachdem der Graben gezogen wurde, muss er natürlich wieder gefüllt werden. Dazu sollte man sehr gute Erde verwenden, die das Wurzelwachstum anregt. Die hier vorgestellte Methode ist im Grunde ein Abmoosen der stärkeren Wurzeln. Beim Abmoosen ist es ja besonders wichtig, dass die neuen Wurzeln von einem Substrat umgeben sind, das das Wasser leicht durchläßt, aber Wasser binden kann und die vor allem eine Luftzirkulation zuläßt, so dass der notwendige Sauerstoff an die Wurzeln gelangt. Eine Erde mit diesen Eigenschaften ist an den meisten Fundorten kaum aufzutreiben, weil ja gerade viele Findlinge wegen des schlechten Bodens so interessant sind. Wer es ganz besonders gut machen will, der kann sich Erde mitnehmen, die die gleichen Eigenschaften haben sollte wie eine gute Bonsaierde. Dan Robinson5 hat spektakuläre Erfolge mit Wacholdern und Kiefern erzielt, die in den Halbwüsten der Rocky Mountains als nicht sammelbar galten, weil ihre Wurzeln in extrem trockenem Schotter viel zu lang waren. Er hat auf einer Seite alle großen Wurzeln abgeschnitten und um die Schnittstelle einen durchlöcherten Plastikbeutel mit Substrat, wie man es zum Abmoosen verwendet, gebunden. Den Beutel hat er regelmäßig feucht gehalten und nach einiger Zeit auf der anderen Seite des Baumes das gleiche Verfahren angewendet. Danach hat er den mit einer großen Zahl feiner neuer Wurzeln ausgestatteten Baum problemlos mit nach Hause genommen.
Oft ist es aber auch so, dass der Baum durch den Blatt- oder Nadelfall sich über lange Zeit seinen eigenen Kompost gebildet hat, der direkt unter der Krone liegt. Es ist eine gute Idee, diese lockere Walderde vorsichtig wegzukratzen und damit den Graben zu füllen. Das hat den sehr erwünschten Nebeneffekt, dass der Wurzelansatz freigelegt wird. Dies ist einerseits wichtig, um die zukünftige Gestaltung festzulegen, andererseits kann man gar nicht früh genug damit beginnen, weil in der Regel die Rindenstruktur des Stammes und der Region, die lange unter der Erde war ganz verschieden ist. Um jemals einen glaubwürdigen Stammansatz zu erzielen, muss aber die Rindenstruktur identisch sein, so dass man nicht sofort sieht, dass ein Teil des Stammes unter der Erde war. Die Rinde wird durch Witterungseinflüsse rau. Diese Witterungseinflüsse haben ja unter der Erde gefehlt. Dabei muss man aber Acht geben, dass man nicht die vielen feinen Wurzeln freilegt, die rund um das Nebari an der Oberfläche liegen. Wenn man die oberste Erdschicht hier abkratzt, könnten sie leicht austrocknen.
Nach dem Zuschütten des Grabens sollte der Baum noch so weit wie möglich zurückgenommen werden. Dabei wird man nicht einfach wahllos die Äste zurückschneiden. Der Sammler muss zu diesem Zeitpunkt bereits eine recht klare Vorstellung von der zukünftigen Gestaltung haben und wird genau die Äste wegnehmen, die ohnehin weggehören. Bei Nadelbäumen ist es angebracht, nicht zu nahe an den Stamm zurückzuschneiden, sondern ein genügend langes Stück des Astes, der wegkommt stehen zu lassen um ev. später daraus einen Jin gestalten zu können. Ganz abschneiden kann man ihn später immer noch, wenn man doch keinen Jin will. Bei Wacholdern und Fichten sollte man eher vorsichtig mit dem Zurückschneiden sein. Sie sollten nicht mehr als 25 % der Krone auf einmal verlieren.
Diese Vorbereitung kann natürlich nur zu gewissen Jahreszeiten erfolgen. Sowohl für Laub- als auch für Nadelbäume ist dazu das zeitige Frühjahr in der Regel der beste Zeitpunkt. Gerade wenn die Knospen beginnen sich zu erweitern, also innerhalb einer Spanne von wenigen Tagen, ist es am sichersten. Der genaue Zeitpunkt variiert von Art zu Art und hängt auch sehr eng mit Klima und Mikroklima zusammen. Es bleibt dem Bonsaifreund wiederum nichts anderes übrig als sich möglichst gut mit dem Baum vertraut zu machen und in ihn hineinzufühlen.
In Mitteleuropa ist die Zeit zwischen Ende März und Ende April; in den Alpen und in Nordeuropa kann sich der günstigste Zeitpunkt bis in den Mai oder gar Juni verlagern. Für Nadelbäume ist auch die Zeit nach dem Abschluss der Vegetationsperiode durch Bildung der Knospen für das nächste Jahr eine gute Gelegenheit zur Vorbereitung. Dies ist wieder verschieden nach Baumarten und Klima. In Mitteleuropa liegt diese Periode zwischen Ende August und Ende September. Besonders der Gemeine Wacholder (J. communis) und die Fichte (P. abies) werden besser im Spätsommer ausgegraben. Sie haben nämlich im Herbst noch einmal einen kräftigen Wachstumsschub der Wurzeln vor sich. Dadurch können sie noch vor dem Winter anwachsen. Dann überstehen sie die kalte Jahreszeit weit besser und haben im Frühjahr einige Wochen Zeit weiter zu wachsen, bis die warme Jahreszeit beginnt. Genau dann würde man sie ja erst in den Bergen ausgraben können. Bei Wacholdern kann es günstig sein, sie im Frühjahr oder Frühsommer auszusuchen. Dann kann man nämlich an den blühenden Fruchtkörpern gut den Befall mit Rostpilzen erkennen. Die gesunden Bäume kann man irgendwie markieren um sie im Herbst abzuholen.
Es ist nicht selbstverständlich, dass man, oft nach Jahren, einen Baum in unwegsamem Gelände wiederfindet. Es lohnt sich, wenn man sich in der Umgebung einen auffälligen Stein oder großen Baum merkt. Ein gutes visuelles Gedächtnis ist von unschätzbarem Vorteil. Eine Skizze ist kein Luxus. Man kann sogar mit modernen Satelliten-Ortungssystemen arbeiten.
Nachdem der Baum also vorbereitet wurde, wird er möglichst lange in Ruhe gelassen. Mindestens eine Vegetationsperiode, aber besser zwei bis vier sollten zwischen Vorbereitung und endgültigem Ausgraben liegen. Der Bonsaifreund muss natürlich auch damit rechnen, dass er nur mehr ein Loch vorfindet, wenn er seinen vorbereiteten Baum abholen will. Auch das gehört zur Ethik des Sammelns: Man respektiert die Arbeit eines anderen und gräbt nicht einen offensichtlich vorbereiteten Baum aus, auch wenn er noch so gut sein sollte! Man stiehlt ja auch keinen Bonsai aus einem fremden Garten! Im allgemeinen sind Bonsailiebhaber ehrliche Menschen. Aber alles hat seinen Preis. Sie würden niemals einen durchschnittlichen Findling klauen, aber wer vor dem Baum seines Lebens steht, kann schon schwach werden. Lästig daran ist die Tatsache, dass man sich ja oft nur bei echten Spitzenstücken die Arbeit des Vorbereitens macht.
Manchmal findet man einen traumhaften Baum, der jedoch nicht sammelbar ist. Bei einigen Arten kann man dann ans Abmoosen denken. Dies gelingt z.B. bei Wacholdern, auch wenn sie uralt sind.
Es lohnt sich, beim Suchen und Sammeln immer eine Kamera dabei zu haben. Ein Foto am Standort ist von unschätzbarem Wert, wenn der Baum zehn Jahre später ein Solitär geworden ist. Auch wenn ein Baum nicht sammelbar ist, kann man ihn zumindest fotografieren.
5.Ausgraben
Entweder hat man einen Baum bereits seit einiger Zeit vorbereitet, oder er ist bereits von vornherein mit einem guten Wurzelballen ausgestattet. Jedenfalls muss er irgendwann ausgegraben werden, wenn man jemals einen Bonsai daraus machen will. Entscheidend ist der richtige Zeitpunkt dafür. Hier gelten die gleichen Zeiten, die oben unter „Festlegen“ genannt wurden, wobei beim Ausgraben eher noch genauer auf den richtigen Zeitpunkt geachtet werden muss.
Wenn der Zeitpunkt gekommen ist, den gewünschten Baum auszugraben, dann hat der erfahrene Bonsailiebhaber bereits einen oder mehrere große Container vorbereitet. Die Löcher mit Gittern versehen, eine große Menge sehr gut dränierender Erde gemischt, den Arbeitsplatz hergerichtet.
Wenn es nicht bereits geschehen ist, sollte jetzt alles abgeschnitten werden, was sicher nicht für die geplante Gestaltung vorgesehen ist. Wenn kein Plan da ist, sollte man noch einmal überlegen, was man machen wird.
Die Wettersituation am Standort und die Prognose für den eigenen Garten sollten unbedingt beobachtet werden. Die Überlebenschancen des Findlings sind viel größer, wenn es kurz vor dem Ausgraben kräftig geregnet hat. Dann hat sich der Baum gut mit Wasser vollgesogen und kann den Schock leichter überleben. Natürlich sollte es aber am Tag des Ausgrabens nicht unbedingt schütten. Am zukünftigen Standort sollte in den folgenden Wochen günstiges Klima herrschen. Hohe Temperaturen ohne Niederschläge sind Gift für die meisten Bäume, auch wenn sie gar nicht frisch ausgegraben wurden.
Falls über dem Wurzelballen Erde, Gras, Unkraut oder Steine sind, sollten sie vorsichtig weggeräumt werden.
Um den Stamm wird ein möglichst großer Wurzelballen mit einem sehr scharfen Spaten ausgestochen. Wenn der Untergrund sehr steinig ist, kann man, sehr vorsichtig, auch mit einem schweren Pickel arbeiten. Der Durchmesser des Wurzelballens sollte mindestens die sieben bis achtfache Stammstärke betragen. Wenn also der Stamm 5 cm dick ist, dann ist es angebracht, einen Kreis mit dem Durchmesser von mindestens 35 cm Durchmesser zu ziehen. Die Tiefe hängt vom Gelände und der Baumart ab. Um ganz sicher zu gehen, sollte man im Zweifel eher tiefer graben, mindestens dreimal so tief wie der Baum dick ist. So mancher Baum wurde ausgegraben nur um festzustellen, dass die Hauptwurzeln viel tiefer waren und was man für seine Wurzeln gehalten hat, von den Kleinsträuchern am Wurzelballen stammte.
Man tut gut daran, noch vorher die Lage der Wurzeln zu überprüfen. Dies geschieht einerseits dadurch, dass der Stammansatz freigelegt wird, anderseits dadurch, dass der Baum fest am Stamm gepackt und vorsichtig gerüttelt wird. So kann man mit einiger Erfahrung gut feststellen, wohin die Hauptwurzeln laufen. Sie verlaufen in feuchtem Gebiet meist stärker auf der Sonnenseite, im ganz trockenen Gebiet eher auf der Schattenseite. Es wird oft nötig sein, einen einseitigen Wurzelballen auszustechen, wenn die Hauptwurzeln stark nach einer Seite verlaufen. Beim Ausstechen kann man auch auf Wurzeln stoßen, die so dick sind, dass sie vom Spaten nicht mehr sauber zu durchtrennen sind. Dazu sollte man eine sehr starke Astschere mit Hebelwirkung mitführen, die bis zu 6 cm dicke Äste oder Wurzeln sauber durchtrennen kann.
Bei den meisten Bäumen existiert eine starke Pfahlwurzel, die ziemlich genau unter dem Stamm senkrecht in den Boden geht. Es ist schwierig, aber unbedingt notwendig, diese sauber abzuschneiden. Dazu kann man von weit außen mit dem Spaten flach unter den Baum stoßen und sie dadurch abtrennen. Wenn das nicht gelingt, dann kann man auch mit der starken Astschere unter dem Baum arbeiten. Bei sehr großen Bäume kann man den Findling mit einem preiswerten Flaschenzug, der an einem andern Baum fixiert ist, hochziehen. Auf jeden Fall haben alle diese Arbeiten so vorsichtig wie möglich zu erfolgen, damit die feinen Haarwurzeln nicht abgerissen werden. Es ist nicht so wichtig, wie meistens angenommen wird, dass der Wurzelballen fest bleibt. Tatsächlich wird er oft beim endgültigen Herausnehmen des Baumes zerfallen. Viel wichtiger ist, dass möglichst viele feine Wurzeln erhalten bleiben. Der Autor hat häufig auch gute Erfolge damit gehabt, dass der Wurzelballen gleich nach dem Ausgraben sehr vorsichtig ausgeschüttelt wurde, wobei aber darauf geachtet wurde, dass noch möglichst viel feine Erde mitgenommen wurde um dem Baum die Mykhorriza6 zu erhalten.
Wenn es möglich ist, sollte man jetzt den Baum nicht einfach aus der Grube herausheben, sondern ihn seitlich hochrollen, ein Ballentuch in die Lücke legen und den Baum über das Ballentuch rollen. Jetzt sollte es möglich sei, von der andren Seite her unter den Baum zu greifen und das Ballentuch hochzuziehen. Danach wird es sofort geknüpft und dann erst der Baum herausgehoben. Wenn der Wurzelballen wirklich fest ist, kann man den Baum natürlich sofort herausheben und ihn dann erst in ein Ballentuch wickeln. Man kann mittlere und kleinere Bäume auch in Plastiktüten stecken. Für große Bäume haben sich Plastikmüllsäcke gut bewährt. Sie können recht fest verschlossen werden und halten Feuchtigkeit sehr lange. Wer es ganz richtig machen will, der hat auch feuchtes Moos mitgebracht, das um die Wurzeln gebunden wird. Man kann auch feuchtes Zeitungspapier verwenden.
Manchmal findet man einen sehr guten Baum, den man aber vorerst nicht abtransportieren kann. Wenn der Wurzelballen gut mit feuchtem Moos umwickelt wird und die Pflanze im Schatten stehen bleibt, kann sie durchaus mehrere Tage schadlos verbringen. Wichtig ist es auf jeden Fall, dass bei dem oft langen und schwierigen Transport zum nächsten Fahrzeug die Haarwurzeln nicht weiter abgerissen werden und auch nicht austrocknen. Durch das Schütteln beim Transport fallen vor allem stark steinige oder sandige Ballen auseinander und zerstören dabei viele Wurzeln. Dies ist der Grund, warum es manchmal angebracht ist, den Wurzelballen noch vor dem Transport möglichst schonend auszuschütteln. Bei Wacholdern und Kiefern sollte man das aber tunlichst unterlassen. Sie sind sehr darauf angewiesen, dass an den Wurzeln die Originalerde vom Fundort mit der richtigen Mykhorriza hängt. Für einen sehr langen Transportweg sollte man ausreichen Wasser für den Baum und für den Träger mitführen.
Meistens sind die gefunden Bäume wesentlich größer und sperriger, als man sie später haben will. Beim Einpflanzen ist es ohnehin angebracht, den Baum mehr oder weniger stark einzukürzen. Deshalb kann man das gut vor dem Abtransport machen, weil man sich dann die Arbeit wesentlich erleichtert. Vor dem Ausgraben hat man wahrscheinlich nicht alles abgeschnitten, was weg gehört. Jetzt sieht man den ganzen Baum, inklusive Wurzelansatz und kann sich ein viel besseres Bild über die wahrscheinliche Gestaltung machen. Der erfahrene Bonsailiebhaber wird bereits vor Ort die Grundgestaltung festlegen und alles abschneiden, was nicht zu dieser Gestaltung gehört. Hier ist bei Nadelbäumen allerdings Vorsicht geboten. Kiefern, Fichten, weniger Lärchen und Wacholder leiden stark unter einem sehr kräftigen Rückschnitt. Ihr Stoffwechsel wird dabei so durcheinander gebracht, dass sie große Schwierigkeiten mit dem späteren Anwachsen haben oder sogar eingehen, obwohl sie einen sehr schönen Wurzelballen hatten. Eine Krone, die immer noch etwas zu sperrig ist, kann man mittels einer mitgebrachten Schnur zusammenbinden. sehr gut bewährt hat sich auch ein zähes Klebeband, wie es zum Verschließen von Paketen verwendet wird.
Die besten Erfolge werden mit Findlingen erzielt, die eigentlich gar nicht ausgegraben werden, weil sie in einer Felstasche oder auf einem Stein so platziert sind, dass man sie einfach abheben kann. Manchmal muss man mit einer scharfen Schere oder auch Säge noch einige Wurzeln abschneiden. Diese Bäume haben ihr ganzes Leben bereits als Quasi-Bonsai mit einem sehr eingeschränkten Wurzelraum verbracht. Diese Findlinge kann man sofort in eine Schale setzen und nach einer Vegetationsperiode bereits mit der Gestaltung beginnen.
Wenn man das Glück hat, einen Fundort zu kennen, wo Bäume von Felsen gesammelt werden können, dann sollte man sich mit geeignetem Werkzeug ausstatten. Ein sehr großer, schwerer Pickel ist gut zu gebrauchen. Eine Brechstange und ein schwerer Vorschlaghammer können auch nützlich sein. Manchmal muss man mit einem Flaschenzug arbeiten, wie man ihn in Taschenausführung in Spezialgeschäften für den Landwirt bekommt. Ein Spezialsägeband, das man um eine Wurzel legen kann um sie mit wechselseitigem Zug auch in ungünstigsten Lagen abzuschneiden, kann Gold wert sein.
6.Einsetzen
Der Baum muss so rasch wie irgend möglich transportiert und versorgt werden. Deshalb hat es keinen Sinn, aus dem Urlaub eine Sammeltour zu machen, weil der gesammelte Baum dann meistens im Kofferraum verkommt. Es hat sich bewährt, die gesammelten Bäume zu Hause erst einmal über Nacht in eine große Regentonne zu legen. Am nächsten Tag ist der Baum ganz feucht und der Bonsaigärtner wieder frisch und tatendurstig.
Der erfahrene Bonsaisammler hat bereits vorher genau festgelegt wohin der Baum kommt. Bei den allermeisten frischgesammelten Bäumen ist eine Verbringung in ein Aufzuchtbeet die weitaus beste Möglichkeit. An ein Aufzuchtbeet werden im Optimalfall folgende Anforderungen gestellt: Es muss leicht erreichbar sein, mit der Möglichkeit, problemlos viel zu gießen, Die Erde muss durchlässig und leicht wasserbindend sein, ev. ist mit grobem Sand und Torf, oder noch besser Rindenhumus (nicht Rindenmulch!) nachzubessern. Der Platz sollte windgeschützt sein, ein immergrüner Strauch in der Hauptwindrichtung als Windschutz wäre ideal, der Baum sollte so gepflanzt werden können, dass er während der stärksten Sonne zu Mittag im Schatten oder Halbschatten liegt.
Nun ist die letzte Gelegenheit, den Wurzelballen zu untersuchen. Offensichtlich tote Wurzeln sind zu entfernen. Dünne, lange lebende Wurzeln sollten immer belassen werden, auch wenn man sie mehrmals um den Wurzelballen herumwinden muss. Diese Wurzeln werden den Baum versorgen und sein Überleben sichern. Schnittstellen, die nicht glatt sind oder gar Bruchstellen müssen mit einer scharfen Baumschere ganz glatt geschnitten werden. Neue Wurzeln wachsen wesentlich besser aus glatten Schnittstellen und die Überwallung der Schnittstelle erfolgt weitaus besser. Die Schnittstelle sollte immer nach unten sehen. Dies deshalb, weil man ja nie weiß, ob gerade der Teil des Wurzelhalses einmal in der Schale an der Oberfläche liegen wird und eine Wurzel mit grober Schnittstelle dann sehr unschön wäre. Außerdem wachsen die neuen Wurzeln ja nach unten.
Beim Bearbeiten des Wurzelballen sollte man sich auf keinen Fall davon leiten lassen, ob er jemals in eine Schale passen wird. Das ist nicht das anstehende Problem! Zuerst muss der Baum überleben und das tut er eher mit einem Wurzelballen, der für eine Schale viel zu groß ist. Nach zwei Vegetationsperioden im Aufzuchtbeet kann man den Baum wieder ausgraben und den Wurzelballen erheblich zurückschneiden. Oft ist es dann geboten ihn wieder ein bis zwei Jahre zurückzusetzen, bevor er ein zweites Mal ausgegraben wird und dann der Wurzelballen auf Schalengröße zurückgenommen werden kann. Wurzeln, die viel zu dick sind, sollte man nicht einfach abschneiden. Man kann davon ausgehen, dass ihre Bedeutung für den Baum ihrem Durchmesser entspricht. Deshalb ist immer zu überlegen, ob sie nicht doch irgendwie in die Gestaltung einbezogen werden können. Man kann Wurzeln auch abmoosen und so einen sanften Übergang schaffen.
Nick Lenz7, der sich im Osten der USA jahrzehntelang mit einheimischen Bäumen beschäftigt hat, meint, dass mehr als 50 % der gesammelten Bäume, die eingehen, dies nicht tun weil ihr Wurzelwerk zu schwach ist. Vielmehr sieht er den Hauptgrund in Schädlingen, die aus der Natur mitgebracht wurden, wo sie immer vorhanden sind und auf ihre Chance lauern. Diese bekommen sie nun, wenn der Baum durch das Umsetzen geschwächt ist und er seine natürlichen Abwehrkräfte nicht mehr mobilisieren kann. Er empfiehlt, frisch ausgegrabene Bäume vorbeugend mit Insektizid und Fungizid zu behandeln. Er geht sogar soweit, dass er die Bäume in einen großen Plastiksack steckt, damit die Luft vergiftet bleibt und den letzten Schädling umbringt. Außerdem sorgt diese Behandlung dafür, dass die Luftfeuchtigkeit sehr hoch bleibt. Sogar direkt am Fundort noch werden die Bäume desinfiziert, damit ja keine Schädlinge in die Bonsaisammlung eingeschleppt werden.
Mit einem Spaten wird eine Grube ausgehoben, die wesentlich größer ist als der Wurzelballen. Der Baum wird in die Mitte gesetzt und ev. von einem Helfer festgehalten. Falls der Baum recht hoch ist und durch die Form des Wurzelballens keinen sehr festen Halt verspricht, sollte man noch vor dem Zuschütten der Grube einen starken Pfahl einrammen, an dem der Baum später angebunden wird. Die Erde wird locker in die Grube gebracht, auf keinen Fall festgestampft, das würde die spätere Luftzufuhr verhindern und feine Wurzeln abreißen. Nun sollte der Wurzelballen eingeschlämmt werden. Darunter versteht man ein besonders starkes Gießen, das dafür sorgt, dass die Erde überall verteilt wird und dass der Baum fest steht. Man kann nun den Baum auch mit einem Wachstumshormon wie Vitamin B2, oder SuperThrive gießen. Einige Autoren, wie Peter Adams8 berichten, dass sie vor dem Einsetzen den Wurzelballen eine ganze Nacht in eine Schüssel mit Wasser stellen, dem ein Wachstumshormon hinzugefügt wurde, stellen. Es schadet nicht, wenn die Erde anfangs um den Baum etwas höher liegt als im Rest des Anzuchtbeetes, sie wird sich mit der Zeit setzen. Wenn das Anzuchtbeet in der vollen Sonne liegt, kann man nun die Krone mit einem Schattiertuch, das man in jedem besseren Gartencenter erhält, umhüllen. Das Schattiertuch verhindert die Austrocknung der Krone, weil es 50 % und mehr der Sonneneinstrahlung abhält. Außerdem entwickelt sich unter der Haube ein feuchtes Mikroklima, was dem geschwächten Baum gut über die ersten Wochen hinweghilft. Man kann auch einen Verdunstungsschutz aufsprühen, wie es Baumschulen beim Verpflanzen von wertvollen Koniferen tun. Der Verdunstungsschutz ist eine Lösung, die mit Wasser vermischt mit Hilfe eines Sprühgerätes auf die Nadeln aufgetragen wird. Es entsteht ein dünner Wachsfilm, der luftdurchlässig ist, jedoch je nach Konzentration die Sonneneinstrahlung erheblich vermindert durchläßt. Der Film hält auch bei Regen, geht aber nach mehreren Wochen von selbst langsam ab.
Oft wird die Verbringung in ein Aufzuchtbeet auf Schwierigkeiten stoßen. Dann kann man sich auch mit einem Aufzuchtbehälter weiterhelfen. Dies kann eine Kiste, ein großer Plastikeimer, eine Plastikschüssel, eine große Plastikschale, eine übergroße Bonsaischale sein. Alle diese Behälter müssen natürlich ein oder besser mehrere große Abflusslöcher im Boden haben. Einige Sammler9 schwören darauf, dass der Behälter und die verwendete Erde unbedingt sterilisiert werden müssen.
Man vermeidet es, den Wurzelballen auf ein vorhandenes Gefäß zuzuschneiden. Man sucht sich vielmehr je nach der Größe des Wurzelballens ein entsprechendes Gefäß. Es ist eher günstig, wenn der Baum gerade noch im Behälter Platz hat. Sehr schlecht ist es, das Gefäß zu groß zu wählen, weil sich dann zu viel Feuchtigkeit im Boden halten kann, die zu Wurzelfäule führt. Der Behälter muss stark genug sein um die oft schweren Pflanzen mit dem Boden auszuhalten. Zu bedenken ist auch, dass er immer wieder getragen werden muss. bei ganz großen Pflanzen sollten daher Traggriffe angebracht sein.
Die Erde ist eher noch durchlässiger als die, die später als Bonsaierde verwendet wird. Eine Mischung aus 40 % grobem Sand, 30 % Akadama und 30 % kompostiertem Rindenmulch hat sich gut bewährt. Eine Zugabe von 10 bis 20 % Torf ist bei den meisten Baumarten von Vorteil. Als Bodensubstrat für ganz große Behälter hat sich Bims bewährt. Er hat ähnliche Eigenschaften wie Akadama oder Lavagranulat, ist aber viel leichter. Manche Gärtner vermeiden es, aus Angst vor Fäulniserregern und Resten von Dünger in der Erde, gebrauchte Erde wiederzuverwenden. Allerdings ist es ratsam, Boden von gesunden Bäumen einzumischen, damit ev. gleich Mykhorriza eingebracht wird. Gleich nach dem Einsetzen wird der Boden gut angegossen. später wird er nur mäßig feucht gehalten, damit die Wurzeln einen Anreiz zum Wachsen haben. Die Krone dagegen wird möglichst täglich besprüht und dauernd feucht gehalten. Auf keinen Fall wird der Baum gedüngt, bevor er nicht deutliche Anzeichen von Wachstum zeigt.
Der Behälter wird dann an einen schattigen, zugfreien Platz gestellt und dort belassen, bis der Baum deutlich sichtbar macht, dass er angewachsen ist. Darauf wird er in den Halbschatten und später in die volle Sonne gestellt. Wichtig ist, dass kurz nach dem Ausgraben jede Frosteinwirkung und scharfe trockene Winde vermieden werden. Am idealsten ist daher im ersten Jahr ein kaltes Glashaus. Für ganz wertvolle Findlinge kann man sogar eine Bodenheizung einbauen, wie sie als Zubehör für Glashäuser vertrieben wird. Aus Japan wird berichtet, dass unter den Wurzeln im Boden feine Gebläse installiert werden, die regelmäßig warmen Dampf an die frischen Wurzeln blasen.
Serge Clemence hat eine Methode entwickelt, wie er Bäume mit schlechten Wurzeln trotzdem gut zum Anwachsen bringt. Er bringt zum Fundort einen Rucksack voll mit Sphagnummoos. Direkt nach dem Ausgraben werden die Wurzelballen gut mit dem Moos umwickelt und verschnürt. Zu Hause werden die Bäume genau so in einen Behälter gesetzt und rundherum Erde dazugegeben. Der Erfolg soll verblüffend sein. Nach einer Vegetationsperiode ist das Moos voller feiner Wurzeln. Sogar Bäume aus Felsspalten, ohne Faserwurzeln sind so angewachsen. Es müsste auch gut möglich sie, die Bäume auf diese Weise ins Freiland auszupflanzen. Nick Lenz10 hat eine Methode entwickelt, wie er Lärchen mit Sphagnummoos dazu bringt, dass sie sich leicht abmoosen lassen. Er stellt fest, dass das Abmoosen nur mit lebendem Sphagnummoos funktioniert und meint, dass hier irgendein Hormon im Spiel ist. Dies würde natürlich auch sehr gut die Methode von Serge Clemence untermauern.
Falls ein Baum einen sehr guten Wurzelballen hat und auch sonst sehr gesund wirkt, kann er ev. auch sofort in ein Aufzuchtgefäß gesetzt werden, auch wenn ein Beet vorhanden wäre. Die Erde muss regelmäßig sehr wasser- und luftdurchlässig sein. Das Aufzuchtgefäß muss sehr große und viele Lüftungslöcher aufweisen. Am Boden sollte eine besonders grobe Drainageschicht angelegt werden. Auf jeden Fall ist aber mindestens eine Vegetationsperide abzuwarten, bevor Gestaltungsmaßnahmen beginnen dürfen. Hier wird mit Absicht von Vegetationsperioden und nicht von Monaten gesprochen. Wenn ein Baum im Herbst ausgegraben und sofort in eine Schale gepflanzt wurde, weil er einen guten Wurzelballen hatte, dann könnte er im Herbst noch anwachsen; auf jeden Fall ist aber das endgültige Anwachsen im kommenden Frühjahr und Sommer abzuwarten, bevor irgendeine Gestaltungsmaßnahme begonnen werden darf; also frühestens im Herbst darauf, oder besser noch im folgenden Frühjahr. Wenn ein Baum hingegen im Frühjahr ausgegraben wurde, kann nach einem erfolgreichen Sommer ev. bereits im Herbst mit leichten Gestaltungsarbeiten begonnen werden.
Die Tabelle zeigt, wie lange es dauert, bis aus einem Findling ein Bonsai wird. So kann es z.B. für eine alte Konifere (älter als 50 Jahre) mit gutem Wurzelballen von 3 bis 7 Vegetationsperioden dauern, bis mit der Gestaltung begonnen werden kann, während die Gestaltung dann von 5 bis 10 Vegetationsperioden dauert. Vom Finden des Baumes bis zum Tag an dem man von Bonsai sprechen kann, vergehen also 8 bis 17 Vegetationsperioden bzw. Jahre. Falls die Wurzeln von Haus aus nicht ideal waren, kann der gesamte Prozess sogar von 11 bis 22 Vegetationsperioden dauern. Natürlich geht die Gestaltung dann noch über viele Jahre weiter.
Hallo Walter,
ReplyDeleteSimply splendidly... which experience and which ability speaks from this text ... Respect at the highest level !!!
saludos
avicenna