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Monday, October 19, 2009

Furor Bonsai - Der Bäumchenwahn - German

Das wurde etwa 1987 in Düssedorf geschrieben und in dem ersten clubunabhängigen Bonsaimagazin veröffentlicht. Seither öfter ohne Berechtigung irgendwo ins Netz gestellt und nicht einmal mich als Verfaser genannt. Wie auch immer, jetzt wieder:

Furor Bonsai - Der Bäumchenwahn:

In letzter Zeit wurde aus mehreren Arbeitskreisen gemeldet, dass Mitglieder von ihrer häuslichen Umwelt als mehr oder weniger verhaltensgestört angesehen werden. Es häufen sich die Fälle, in denen sogar an sich gleichgesinnte Arbeitskreismitglieder eine sprunghafte Zunahme von abstrusen Handlungen aneinander feststellen.
Der Autor hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese neuartige Krankheit näher zu untersuchen. Sie wird fast ausschließlich an Männern beobachtet und beginnt mit der milden Form des Bäumchenwahns (Furor bonsai).
Der Kranke kauft Weihnachtssterne und Azaleen für das häusliche Wohnzimmer nur, wenn der Aufbau der Pflanze eine gute Entwicklung zum Bonsai verspricht. Von Mutter seit Jahren brav gepflegte Ficus- und Hibiskuspflanzen werden ihr plötzlich entzogen und beträchtlich verkleinert. Der Vorwurf, einen „Besen“ daraus gemacht zu haben, wird brüsk zurückgewiesen, auch wenn der Augenschein voll dafür spricht.
Flache Kuchenformen werden mit roher Gewalt mit einem Abflussloch versehen. Wenn das Gefäß dabei zerspringt, was regelmäßig der Fall ist, wird die Hausfrau bezichtigt, minderwertiges Material eingekauft zu haben. Das gute Weib sollte besonders dann Verdacht schöpfen, wenn ihre Blumendrahtvorräte plötzlich verschwinden und an allen möglichen und unmöglichen Stellen abgezwickte Drahtenden auftauchen. Auch das Verschwinden von Scheren und Messern aller Art sollte höchstes Misstrauen auslösen.
In vielen Fällen wird beobachtet, dass ganze Gartenpartien umfunktioniert werden. Aus biederen Gemüsebeeten entstehen Abstellflächen, Aufzuchtbeete, Sämlingsecken und Invalidenverschläge. Bei normalen Gartenpflegearbeiten ist ein vermehrter Drang festzustellen, kerngesunde Sträucher und Bäumchen als „krank“ auszusondern. Die meistenfindet man später wieder: in stark entstellter Form in mehr oder weniger flache Schalen verpflanzt, einige auf dem Komposthaufen.
Die anfängliche Freude der noch unerfahrenen Ehefrau über den plötzlich auftretenden Drang ihres Mannes, in möglichst einsamen Gegenden spazieren zu gehen, verwandelt sich bald in ein stummes, wissendes Nicken - besonders, wenn bei diesen Ausflügen Plastikbeutel und kleine Schaufeln mitgetragen werden.
Auch wenn Furor („Wut“, „Wahn“) und Furore („rasender Beifall“, “Begeisterung“) offensichtlich miteinander verwandt sind, wird wegen starker Gefährdung der familiären Harmonie psychiatrische Behandlung dringend empfohlen; ganze besonders auch dann, wenn der Patient strahlend vorgibt, glücklich zu sein.
Wem die für die Behandlung in Zahlung zu gebenden Solitäre doch zu schade sind, der sollte es auf jeden Fall mit der preiswerten Gruppentherapie versuchen. Aber Achtung! Die Teilnahme an einem Bonsai-Arbeitskreis ist nicht als Therapiemaßnahme anzusehen. Im Gegenteil: Durch Beeinflussung von ebenfalls mehr oder weniger infizierten Freunden wird das eigene Verhalten als durchaus normal angesehen und durch Zustimmung Gleichgesinnter verstärkt und letztlich unheilbar. Man spricht von der „Narretei zu zweit oder zu mehreren“. Der Einstieg in die letzte Phase (Delirium bonsai) wird hier nur gefördert.
In dieser nun wirklich ernsten Form treten sehr bedenkliche Erscheinungen auf. Bäume und Sträucher im Garten werden nun nicht mehr ausgegraben, sondern an Ort und Stelle beschnitten und gedrahtet. Aus jedem zweiten Nadelbaum ist ein riesiger Jin in geradezu obszöner Weise liebevoll herausgearbeitet. An jedem Baum hängen mehrere Abmoosbeutel. Selbst große Exemplare im Vorgarten werden öffentlich verunstaltet. Vorbeigehende Spaziergänger meinen immer wieder dass da wohl ein Japaner wohnt. Die wenigen Nachbarn, die immer noch grüßen, tun dies auffällig zurückhaltend.
Eine früher nie festgestellte Lust, Obstbäume zu beschneiden, führt zu Ergebnissen, die merkwürdig lehrbuchhaft Frei oder Streng Aufrecht wirken. In Wäldern wird nunmehr ausschließlich mit großem Rucksack und Klappspaten spazieren gegangen. Als neues Auto wir im krassen Gegensatz zu früher statt eines Sportwagens ein geräumiger Van favorisiert. Die wohldotierte Position mit Pensionsberechtigung wird nach scheinbar bereits überstandener midlife crisis schon wieder in Frage gestellt. Selbstverwirklichung, als Inhaber einer Bonsaiwerkstatt, ist das Ziel.
Nun ist es hoch an der Zeit über eine Entziehungskur nachzudenken. Völlig abzuraten ist aber von Orten in Wäldern oder gar Berggegenden. Das käme dem Versuch gleich, eine Alkohol-Entziehungskur direkt im Hafenviertel zu versuchen. Auch wenn der Aufwand hoch scheint, ist wohl die Kur in einer ausgesprochenen Wüstengegend angebracht weil sonst Entzugs-Exzesse während der Kur nicht zu verhindern sind. Die Gegend um das Tote Meer wäre gut geeignet.
Im Endstadium schreckt der nun wahrhaft Kranke vor nichts zurück. Hat er bisher nur beiläufig erwähnt, dass die Magnolie eigentlich beschnitten gehört, bespringt er sie nun mit Leiter, Säge und seinem inzwischen gewaltig angewachsenen Scherenarsenal. In jedem Baumarkt wird er vom Inhaber mit Handschlag begrüßt, weil er zu den besten Kunden für allerlei Fräsen, Sägen und Schleifmittel gehört.
Von Inlandsflügen kommt der Süchtige mit Koffern voller Draht zurück, von Auslandsflügen mit Säcken voller liebevoll ausgegrabener Findlinge. Der Urlaub wird ausschließlich in einsamen Hochgebirgswäldern verbracht. Im Wohnzimmer sind nur mehr die doch recht ungeeigneten Aquarienpflanzen unbeschnitten. Der Weihnachtsbaum wird wegen seiner gegenständigen Äste, die das Auge massiv beleidigen, nicht aufgestellt.
Die früher nur beiläufigen Bemerkungen über interessante Bäume auf Friedhöfen erklären jetzt eindeutig die nächtlichen Rucksackspaziergänge. Die Sucht hat zu einer radikalen Beschaffungskriminalität geführt.
Plötzlich weigert sich der Patient, aus dem Wohnzimmerfenster zu blicken, mit der Begründung, dass die Äste der nachbarlichen Zypresse völlig laienhaft bearbeitet seien. Wenn er dann eines nachts über Gartenzäune springt und rasend die Bäume der Nachbarn beschneidet, ist wohl die sofortige Einweisung in eine geschlossene Anstalt die einzige Lösung.

4 comments:

  1. Hello Walter,
    I have never read this text before, but I know this illness, however, very well. I described it always as the "bonsai virus" one strikes ... like a retro virus which sets up in one and one never gets rid of him... With me such first phenomena have appeared 35 years ago namely with the exactly symptoms you have described here so nicely;-).
    Saludos
    avicenna

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  2. Walter das ist genial!!!!!!!!!!

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  3. Lachanfall mit Magenkrämpfen um 6 Uhr in der früh...You just made my day ;-)

    P.

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  4. Wirklich super geschrieben! Muss dauern kichern 😁 weil ich mich doch wiederfinde. Infiziert seit 1995 aber das sind auch die entspannensten Momente.
    L.g.Doro

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